Valeo: Neues zum software-defined Vehicle – und noch viel mehr!

Das Software-defined Vehicle steht bei Valeo aktuell im Fokus. Tiefere Einblicke und praktische Fahrerlebnisse dazu vermittelte man uns neben der Messe im Espace Claquesin, einer Ex-Distillerie in Paris.

Am Rande der Paris Motor-Show mietete Valeo den Espace Claquesin, eine Ex-Destillerie - und destillierte dort die wichtigsten News seines Portfolios heraus. (Foto: G. Soller)
Am Rande der Paris Motor-Show mietete Valeo den Espace Claquesin, eine Ex-Destillerie - und destillierte dort die wichtigsten News seines Portfolios heraus. (Foto: G. Soller)
Franziska Neuner
(erschienen bei VISION mobility von Gregor Soller)

Am Valeo-Stand auf der Messe sah man diesmal sehr viele Screens – und die Leuchten des Renault 5, die man übrigens auch schon für das Urmodell anno 1972 lieferte! Erster ganz großer Gast war Frankreichs Präsident Emanuel Macron, mit dem wir quasi über den Stand geführt wurden.

Anschließend ging es zum Espace Claquesin, einer einstigen Destillerie, wo uns Derek de Bono, Vice-President Software Defined Vehicle zum Round Table empfing und tiefer ins Thema einstieg. Denn das ist für Valeo der ganz große nächste „heiße Scheiß“, der die Automobil- und Zuliefererindustrie grundlegend ändern soll. Ganz genau so hat de Bono das zwar nicht ausgedrückt, wohl aber gemeint!  

Das Auto ist Software auf Rädern

Denn tatsächlich muss das Auto seiner Meinung nach neu gedacht werden, als Software auf Rädern. Über die man auch die Lebensdauer verlängern und neue Geschäftsmodelle entwickeln kann. Man müsse davon wegkommen, ein Auto zu entwickeln – was immer extrem teuer ist – und es dann über Jahre zu verkaufen, um dadurch diese Kosten wieder reinzuholen und dann Gewinne zu machen. Das aktuelle Problem: Die Kunden gehen die neueren höheren Neuwagenpreise nicht mehr uneingeschränkt mit und die Software entwickelt sich rapide weiter, heißt: Man muss Möglichkeiten finden, die Entwicklungskosten zu senken respektive die Einnahmen über zusätzliche Features länger am „sprudeln“ zu halten.

Vorteil SDV: man zahlt nur, was man braucht. Nachteil: Man hat vieles an Bord, was man nicht nutzen darf

Zumal man mit dem SDV viel mehr Möglichkeiten habe, das Auto an die gewünschten Gegebenheiten anzupassen: Schon heute könne man die Hinterachslenkung bei Mercedes-Benz von vier auf zehn Grad Einschlag „freischalten“ lassen, doch wer das nicht brauche, muss auch nicht dafür bezahlen. Das Ärgerliche daran aus Kundensicht ist aber: Man erhält heute Autos, die per se viel mehr können, als man erhält – aber man darf es eben nur gegen Aufzahlung nutzen, was, sorry, ein bisschen das Gefühl auslöst, veräppelt zu werden, denn: Die schönen teuren Features sind ja bereits alle an Bord, aber man darf sie eben nicht nutzen…und weil wir gerade am Kritteln sind: Auch die Cybersecurity wird immer wichtiger! Das Problem daran: Wenn man sein Auto nicht ständig updated, könnte es irgendwann der KGB steuern oder es fährt gar nicht mehr, obwohl die Hardware voll intakt ist! Und: All das kostet und bringt die Kunden in neue Bezahlabhängigkeiten…

Niemand zahlt für Cybersecurity

Das Problem der Autoindustrie: Laut de Bono muss die wie beim Handy gegeben sein, bleibt also Sache der Autohersteller: „Niemand zahlt für einen Security-Patch!“ kennt er die Realität. Da hat er Recht, trotzdem wollen wir de Bono nicht überall uneingeschränkt folgen. Und was, wenn man später mehr Rechenleistung braucht? Auch dafür hat Valeo eine Lösung: Denn die neuen Steuerboxen sind modular aufgebaut und man könnte ein zweites Stack dazu packen.

Überhaupt, die Sicherheit: Die demonstriert uns sein Kollege Hisham al Saeed, der uns diverse Hardware-Boxen zeigt, die er so im Detail nicht fotografiert haben möchte. Nun ist es so, dass man nach ein paar Jahren leider nicht einfach den Chip tauschen und durch den neueren, stärkeren ersetzen kann. Weshalb man bei Valeo die Option schuf, ein neues Gehirn „Hinzuzupacken“.

Das clever mit dem „alten“ Zentralrechner kooperiert: beide dienen auch als gegenseitiges Backup und teilen sich die Aufgaben je nach Rechenbedarf, im Idealfall so, dass keiner in „Überlast“ laufen muss. Dann schaltet al Saeed einen Rechner weg und die Armaturenlandschaft wird bis auf die Notanzeigen schwarz. Es dauert ungefähr zwei drei Sekunden, bis der zweite Rechner den Ausfall bemerkt hat, sich die ausgefallenen Aufgaben „gezogen“ hat und mit übernimmt! Man hat auch die Möglichkeit, bei Bedarf eine defekte Cartridge einfach zu tauschen.

Die Central Control Unit spart auch massiv Strom

Dann übernimmt sein Kollege Harald Barth, der weitere Hintergründe erklärt, zum Beispiel zum Stromkonsum: Der sinken sollte, denn: wenn aktuell 40 Steuergeräte je 20 bis 30 Watt brauchen, darf so ein Domaincontroller auch mal ein paar hundert Watt verbrauchen und ist dann immer noch viel sparsamer, rechnet er vor.

Diese Power braucht man zum Beispiel für Valeos Smart System 360, an das man bis zu fünf Radare, 12 Ultraschallsensoren, Kameras, das Driver Monitoring und Lidar hängen kann. Das Alles upgradefähig, was vor allem in Asien immer wichtig ist. Womit er zum nächsten Ausstellungsstück geht und uns eine „Wärmebildkamera“ zeigt, die eine Elchherde im Wald ebenso entdeckt wie Radfahrer im Nebel…und nicht mit einer Nachtsichtkamera verwechselt werden sollte, da sie eben nicht nur nachts beim Detektieren von Lebewesen oder Wärmequellen hilft, sondern auch bei niedrigem Sonnenstand, Nebel oder oder... Die konnte man jetzt zusammen mit Partnern auf eine Größe einer „Standardkamera“ schrumpfen.

Zocken, ohne dass einem Übel wird

Kameras nutzt auch der „Valeo Racer“: Man sitzt mit der Gaming-Konsole im Fond und bekommt auf die in echt gefahrene Straße, die man in seinem Screen sieht, Goldmünzen eingeblendet, die es aufzusammeln gilt. Da man die originale Straße sieht, wird einem bei der Demotour auch nicht übel. Macht Spaß und auf die Art bekommt man „zockend“ trotzdem ein bisschen mit, wo man überhaupt unterwegs ist! Auch hier kann man sich mit Partnern aus dem Gaming-Bereich viele neue Anwendungen vorstellen.

Partner ist übrigens ein gutes Stichwort, denn: Fast niemand weiß, dass die Antriebe von Mercedes-Benz EQE und EQS von Valeo kommen, dass man mit BMW gemeinsam auf Augenhöhe den Domaincontroller fürs automatisierte Parken weiterentwickelt und mit Renault und Google die Softwareplattform für künftige Modelle entwickelt.

Auf die abschließende Frage, ob die Automobilhersteller je mit Apple oder Google konkurrieren werden, hat de Bono eine so kurze wie ernüchternde Antwort:

„Nie!“

Was bedeutet das?

Dem „software defined vehicle“ gehört die Zukunft. Es wird sicherer, vernetzter und vielfältiger, aber – was leider auch durchklang: Komplexer und sicher nicht billiger – zumal es für die Kunden Abhängigkeiten schafft, die es vorher nicht gab. Weshalb uns der wahre Vorteil des SDV so wenig einleuchtete wie der der immer komplexeren Bedienlandschaften. Denn Netze haben zwar die Eigenschaften, verbinden und tragen zu können, aber Fischer und Spinnen legen sie auch aus, um ihre Beute zu fangen….