VDA-Präsidentin Müller: „Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie“

Nach einem turbulentes Autojahr 2021 zieht der VDA Bilanz und fordert einen Paradigmenwechsel in der Industriepolitik. Die Politik soll Infrastruktur und Rahmenbedingungen schaffen damit die erfolgreiche Transformation gelingt.

„Es geht jetzt um die konkrete Umsetzung des Beschlossenen. Klima und Industriepolitik werden zusammengeführt. Das ist richtig so“, erklärte VDA-Präsidentin Hildegard Müller bei der Jahreseröffnungspressekonferenz des VDA. (Foto: VDA)
„Es geht jetzt um die konkrete Umsetzung des Beschlossenen. Klima und Industriepolitik werden zusammengeführt. Das ist richtig so“, erklärte VDA-Präsidentin Hildegard Müller bei der Jahreseröffnungspressekonferenz des VDA. (Foto: VDA)
Redaktion (allg.)
(erschienen bei Transport von Christine Harttmann)

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) fordert angesichts der Jahrhundertaufgabe der Transformation mehr Geschwindigkeit beim Auf- und Ausbau der Infrastruktur, die für die Umsetzung der ambitionierten Klimaziele zwingend notwendig ist. Außerdem sind spürbare Planungsbeschleunigungen in allen Sektoren sowie eine realistische Bestandsaufnahme aktueller Entwicklungen im Bereich des Auf- und Ausbaus der Erneuerbaren Energien und der digitalen Infrastruktur dringend erforderlich, um die ambitionierten Ziele tatsächlich und planmäßig zu realisieren.

Von einem Paradigmenwechsel in der Industriepolitik und dem Ende der theoretischen Debatten um die Klimaziele spricht VDA-Geschäftsführerin Hildegard Müller.

„Es geht jetzt um die konkrete Umsetzung des Beschlossenen. Klima und Industriepolitik werden zusammengeführt. Das ist richtig so“, erklärte sie bei der Jahreseröffnungspressekonferenz des VDA.

Müller will nun den Fokus auf der Infrastruktur und den Rahmenbedingungen sehen. Das seien die entscheidenden Faktoren, damit die Industrie die engagierten Ziele umsetzen kann.

„Die gewaltigen Aufgaben, die vor uns liegen, können wir nur mit langfristigem gesellschaftlichen Rückhalt bewältigen – deshalb ist es wichtig, die verschiedensten Lebensrealitäten der Menschen zu berücksichtigen und den Wandel sozialverträglich zu gestalten“, so Müller weiter.

Die Verbandspräsidentin betont auch, dass erfolgreiche Klimapolitik erfolgreiche Industriepolitik ist um umgekehrt. Für sie gehört beides zusammen. Den Staat sieht sie unter anderem in der Pflicht, wenn es darum geht, die nötige Infrastruktur zu schaffen. Aus Sicht des VDA ist das bisher jedoch noch nicht ausreichend gut gelungen.

„Der Ausbau der Ladeinfrastruktur kann nicht mithalten mit dem Hochlauf der Elektromobilität“, kritisiert Müller.

Die Lücke werde größer, nicht kleiner.

„Eine Lücke, die uns den Erfolg kosten kann. Scheitern ist aber keine Option. Die Verbraucherinnen und Verbraucher benötigen ausreichend Lademöglichkeiten. Die Lücke muss so schnell wie möglich geschlossen werden. Deshalb braucht es zeitnah einen Ladegipfel, der alle Beteiligten einbezieht. Wenn Deutschland sein aktuelles, bescheidenes Tempo beibehält, haben wir 2030 gerade einmal rund 160.000 Ladepunkte – nicht einmal ein Sechstel der angestrebten 1 Millionen. Deshalb: Mehr Geschwindigkeit beim Ausbau, bitte“, fordert Müller.

Auch an den erneuerbaren Energien hapert es bisher. Denn erst wenn denn die E-Autos mit 100 % Ökostrom getankt werden, „leisten sie ihren Beitrag zu klimaneutraler Mobilität“, führt die Verbandspräsidentin aus.

„Zudem werden die Anforderungen an das Stromnetz durch den Hochlauf der E-Mobilität weiter steigen. Der Netzausbau ist also die Grundvoraussetzung, um die Mobilität der Zukunft zu ermöglichen – und muss entschlossener vorangetrieben werden.“

Doch auch wenn aus Müllers Sicht die Entscheidung für die E-Mobilität im Pkw-Bereich längst gefallen ist – ohne E-Fuells und Wasserstoff geht es nach ihrer Überzeugung nicht. Das liegt nicht nur an den Lkw, für die zumindest im Fernverkehr noch alle Optionen offen sind. Hinzu kommen die viele Altfahrzeuge, die auch nach 2030 weiter auf unseren Straßen unterwegs sein. Die müssen perspektivisch klimaneutral getankt werden können und auch dafür braucht es E-Fuels. Um aber E-Fuels und Wasserstoff herstellen zu können bedarf es ebenfalls erneuerbarer Energien. Der Bedarf sei also stetig wachsend, so Müller.

„Diese Menge wird nicht allein in Deutschland hergestellt werden können. Deutschland braucht daher engagierte Programme für Energie- und Rohstoffpartnerschaften, eine aktive Rohstoffaußenpolitik – eine Außenpolitik, die sich auch als Klimapolitik versteht. Die Märkte werden aktuell aber weitgehend ohne uns verteilt. Deutschland muss hier schneller aktiv werden und strategisch vorgehen.“

Auch hinsichtlich Digitalisierung hat der VDA Forderungen an die Politik. Ohne einen Ausbau des 5G-Netzes können Deutschland kann sein Potential nicht entfalten. Müller warnt davor, dass der deutsche Standort international zurückfallen könnte.

Ähnliches gilt für die Halbleiter- und Batterieproduktion, wo bereits jetzt Lieferengpässe Produktions- und Beschaffungsprozesse in der Automobilindustrie ausbremst. Den EU Chips Act wertet die VDA-Präsidentin daher als eine „wichtige und richtige Initiative, um die Industrie insgesamt durch den Aufbau von europäischem Know-how und Fabriken zu stärken“. Diesen Aufbruch brauche es auch bei der Batterieproduktion.

Müller betont, wie wichtig die Automobilproduktion für unsere Wirtschaft ist:

„Die Autoindustrie ist Treiber der Transformation und investiert allein bis 2026 rund 220 Mrd. Euro in Forschung und Entwicklung; hinzu kommen noch die Ausgaben für den Um- und Neubau von Werken. Jeder zehnte Arbeitsplatz in Deutschland steht in Verbindung zu unserer Industrie.“

Im Rahmen der Pressekonferenz verkündet Müller außerdem die Marktprognose:

„Für das Jahr 2022 erwarten wir für den Pkw-Weltmarkt mit einem Plus von 4 %t ein ähnliches Wachstum wie im Jahr 2021.“

Damit werde im Jahr 2022 der Höchststand des Pkw-Weltmarktes aus dem Jahr 2017 noch um knapp 13 % unterschritten.

„Bei den Nutzfahrzeugen ist die Nachfrage sehr kräftig. Hier trifft sie jedoch ebenfalls durch Engpässe auf ein beschränktes Angebot. Wir erwarten, dass in Europa in diesem Jahr acht Prozent mehr schwere Nutzfahrzeuge zugelassen werden, in den Vereinigten Staaten dürften es fünf Prozent sein.“