VDA-Präsident Mattes: IAA 2018 zeigt die gesamte Nutzfahrzeugbranche im Aufbruch.

Driving tomorrow – die Zukunft der Mobilität auf der IAA. Elektromobilität geht auf der IAA in Serie. EU-Regulierungsentwurf: CO2-Ziele für schwere Nutzfahrzeuge nicht realistisch.

Andreas Renschler, Mitglied des Vorstands, Volkswagen AG; CEO, TRATON AG, Bernhard Mattes, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) und Martin Daum, Mitglied des Vorstands der Daimler AG. Foto: VDA
Andreas Renschler, Mitglied des Vorstands, Volkswagen AG; CEO, TRATON AG, Bernhard Mattes, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) und Martin Daum, Mitglied des Vorstands der Daimler AG. Foto: VDA
Redaktion (allg.)
von Bert Brandenburg, nfz-messe.com

Diese IAA steht unter dem Motto „Driving tomorrow“. Damit wird ausgedrückt, dass die Branche sich den großen Herausforderungen der Zukunft stellt: Digitalisierung, Vernetzung, automatisiertes Fahren sowie Elektromobilität und weitere alternative Antriebe. Überdies beschäftigt sich diese Industrie mit zentralen Fragen der urbanen Logistik und Mobilität.

Auf dieser IAA wird deutlich: Die Unternehmen – Hersteller von schweren Lkw und Transportern, von Trailern, von Bussen und Spezialfahrzeugen sowie die große Zahl der Zulieferer – bereiten sich intensiv auf diese Transformation vor, die auf der Antriebsseite und bei der Digitalisierung stattfindet. Digitalisierung und E-Mobilität gehören zusammen, sie sind zwei Seiten einer Medaille. Denn Digitalisierung, Vernetzung und Automatisierung beziehen sich ja nicht nur auf die Car2X-Kommunikation, sondern sie sind auch integraler Bestandteil jeder Neuentwicklung im Antriebsstrang.

Digitalisierung macht Transport und Logistik noch sicherer und effizienter

Die Verkehrssicherheit kann durch Digitalisierung, Vernetzung – und künftig noch stärker durch das automatisierte Fahren – erheblich verbessert und gesteigert werden. So bringen Sensoren und Kameras dem Nutzfahrzeug schon in naher Zukunft Sehen und Hören bei: Hochauflösende Monitore ersetzen zusammen mit Kameras die Außenspiegel und schaffen die toten Winkel rundum ab. Das sorgt für mehr Sicherheit, besonders im urbanen Umfeld und beim Abbiegen. An diesen Innovationen sowie an vielen anderen Neuheiten sind die Zulieferer maßgeblich beteiligt. Ihr Anteil an der Wertschöpfung eines Fahrzeugs liegt bei über 70 Prozent. Deshalb bildet die IAA – wie keine andere Messe – die Wertschöpfungskette so umfassend ab.

Zudem bieten die neuen Technologien enorme Vorteile bei Flexibilität und Effizienz. Ein Beispiel dafür, welches Potenzial in der Vernetzung und Automatisierung steckt, ist Platooning: Damit kann der Transport über weite Strecken noch effizienter und CO2-sparsamer bewältigt werden. Durch das Fahren im Platoon lassen sich bis zu 10 Prozent Kraftstoff und CO2-Emissionen einsparen. Dass Platooning technisch funktioniert, haben wir inzwischen bewiesen, es wird bereits im Logistikalltag getestet. Der Einsatz von gemischten Platoons, also mit Trucks verschiedener Hersteller, ist mittel- bis langfristig ein wichtiges Entwicklungsziel. Und: Nutzfahrzeuge sind prädestiniert für das automatisierte Fahren. Sie haben eine Jahreslaufleistung von 100.000 bis 150.000 km im Fernverkehr, meist auf der Autobahn. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Jahreslaufleistung bei Pkw beträgt lediglich etwa 14.000 Kilometer, ein Großteil davon entfällt auf die Fahrt zur Arbeit.

Elektromobilität geht auf der IAA in Serie

Hier in Hannover können wir sehen: Die Industrialisierung der Elektromobilität kommt nicht nur beim Pkw voran, sondern findet insbesondere auch im Nutzfahrzeugbereich statt:Transporter mit Elektroantrieb haben hier vielfach Premiere. Die IAA-Besucher werden bei E-Transportern einen Quantensprung erleben.

Damit können die täglichen Aufgaben, die vor allem von KEP-Diensten, Handwerkern und Lieferanten in Städten zu leisten sind, optimal erfüllt werden. Der Zustellverkehr, für den besonders die „letzte Meile“ entscheidend ist, erhält damit ein Produktangebot, das auch den neuen Logistikanforderungen genügt und zudem lokal emissionsfrei ist. Denn im Zuge des rasant steigenden Onlinehandels wachsen in ähnlichem Umfang der Warenverkehr und damit der Bedarf für Transporter in urbanen Räumen.

Die lokal emissionsfreie Antriebsart finden wir auch mehr und mehr in Stadtbussen, das Angebot legt kräftig zu. E-Busse entlasten die Städte, sie leisten einen wichtigen Beitrag zur weiteren Verbesserung der Luftqualität.

Selbst beim schweren Lkw (bis 26 t) ist Elektromobilität auf dem Vormarsch, besonders im Verteilerverkehr. Allerdings ist hier die Herausforderung der Elektrifizierung auf Grund von Gewicht und Reichweite deutlich größer. Als alternative Antriebe bieten sich zudem Hybrid oder Erdgas an. Der reinelektrische Betrieb wird aber auch hier kommen, mit der Serienproduktion ist in einigen Jahren zu rechnen.

Über 35 Modelle mit alternativen Antrieben stehen auf dem IAA-Messegelände für Probefahrten zur Verfügung. Die Zahl der Fahrzeuge mit herkömmlichem Antrieb, die auf der IAA für Probefahrten im allgemeinen Straßenverkehr angeboten werden, ist ähnlich hoch.

So wichtig die Elektromobilität ist – im schweren Fernverkehr (Lkw bis 40 t) bleibt der saubere und effiziente Euro-VI-Diesel bis auf weiteres sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch der Platzhirsch. Dabei gibt es noch Potenziale zur weiteren Effizienzsteigerung, etwa durch aerodynamische Optimierung, durch Trailer mit Heck- oder Seitenflossen. Erdgas (LNG oder CNG) kann als Kraftstoff im Fernverkehr eine wichtigere Rolle spielen. Mit CO2-freundlichem Power-to-Gas kann der Gasantrieb immer stärker dekarbonisiert werden. Ähnliches gilt für andere synthetische Kraftstoffe (E-Fuels), die CO2-mindernd im Bestand wirken, nicht nur bei Neufahrzeugen. Langfristig bieten sich zudem große Chancen für den elektrischen Antrieb durch die Brennstoffzelle.

EU-Regulierungsentwurf: CO2-Ziele für schwere Nutzfahrzeuge nicht realistisch

Eine massive CO2-Reduktion bei schweren Nutzfahrzeugen, die für die gesamte EU gilt und innerhalb weniger Jahre durchgeführt werden soll, ist alles andere als einfach umzusetzen. Die Produktzyklen eines Lkw sind länger als beim Pkw, zudem muss sich jede Investition eines Transportunternehmens rechnen. Eine Bestandserneuerung geht nicht über Nacht. Noch ein Unterschied zum Pkw-Segment: Im Transporterbereich wird die E-Mobilität schneller kommen; beim Fernverkehr wird es aber wesentlich länger dauern, bis der Elektroantrieb den Diesel in großem Umfang ersetzen kann.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Die Nutzfahrzeugindustrie nimmt die Herausforderungen des Klimaschutzes an. Sie hat sich stets für mehr Transparenz und eine realistische Regulierung für schwere Lkw ausgesprochen. Aber: Der Regulierungsentwurf berücksichtigt in wesentlichen Punkten nicht die Bedingungen des Nutzfahrzeugmarktes, und er spiegelt die Entwicklungszeiten nicht angemessen wider.

Die definierten CO2-Minderungsziele – minus 30 Prozent bis 2030, minus 15 Prozent bis 2025 – sind nicht realistisch. Beim Nutzfahrzeug sind seit jeher die wesentlichen Erfolgsfaktoren Kosteneffizienz, sparsamste Motoren und niedrigster Verbrauch pro Tonnenkilometer.

Gerade schwere Lkw in Europa sind bereits Weltmeister im Spritsparen – und das bislang ohne jegliche gesetzliche Vorgaben. Das sollte Brüssel bei seinen Regulierungsplänen berücksichtigen. Wir haben heute in Europa noch keine zertifizierten Verbrauchswerte für schwere Lkw. Da können extreme Minderungsziele, die auch noch in kürzester Frist erreicht werden sollen, Industrie und Transportbranche leicht überfordern.