Die nächste Flut kommt bestimmt

Wie ist es gut ein Jahr nach der Flutkatastrophe im Ahrtal um die Heimat von busplaner-Chefredakteur Claus Bünnagel bestellt? Ein Meinungsbeitrag.

Der erste Schuttberg vor dem Elternhaus (r.) von busplaner-Chefredakteur Claus Bünnagel wird entfernt – weitere sollten folgen. (Foto: Bünnagel)
Der erste Schuttberg vor dem Elternhaus (r.) von busplaner-Chefredakteur Claus Bünnagel wird entfernt – weitere sollten folgen. (Foto: Bünnagel)
Claus Bünnagel

Im Dezember 2020 erschien mein Fachbuch „Mit Vollgas in die Klimakatastrophe? Die Energie- und Verkehrswende als Chance“ im Münchner Huss-Verlag. Darin warne ich u.a. vor Extremwetterereignissen. Dass es meine eigene Heimat nur ein halbes Jahr später so hart treffen würde und die Flutwelle auch das Haus meiner Eltern in Ahrweiler in Mitleidenschaft ziehen würde, hätte ich beim Schreiben aber niemals erwartet.

Hilfen und Hochwasserschutz fehlen

Ein gutes Jahr ist seitdem vergangen. Viele Familien warten noch immer auf die versprochenen finanziellen Hilfen aus der Politik. Ebenso schlimm: Kaum noch ist die Rede von Hochwasserschutzmaßnahmen, die eine künftige Katastrophe verhindern sollen. Dabei wäre es dringend notwendig, dafür jetzt viele Milliarden Euro an der Ahr in die Hand zu nehmen. Viele sagen: Es war Pech, was damals passierte – weil die Unwetterfront genau über unserer Region abregnete. Ich sage: Klar war es Pech, aber kein Zufall. Denn das Ahrtal ist geografisch prädestiniert für ein solches Flutereignis wie am 14. Juli 2021. Und es wird wieder passieren, wenn wir keine Maßnahmen dagegen ergreifen: vielleicht in drei, zehn, 30 oder 50 Jahren, aber es wird sich im nächsten halben Jahrhundert wiederholen. Und vielleicht ist die Flutwelle dann nicht 9 m, sondern womöglich 12 oder 15 m hoch. Können Sie sich nicht vorstellen? Nun, niemand konnte sich vor dem 14. Juli 2021 eine 9 m hohe Flutwelle an der Ahr vorstellen.

Umdenken und Umsteuern nicht in Sicht

Die Erderwärmung beträgt gegenwärtig rund 1,2°C gegenüber vorindustrieller Zeit. Bis 2080 wird sie exponentiell auf mindestens 2,5°C ansteigen, denn radikales Umdenken und Umsteuern der Menschheit in der Klimapolitik sind nirgends in Sicht. Dafür aber noch heftigere Unwetter, wenn sich Unwettergebilde mit dann noch wärmerem Mittelmeerwasser aufladen und wie im Juli 2021 über dem Kontinent abregnen. Zur Einordnung: Wissenschaftlern halten ab einer Erwärmung von 3°C ein Leben in größeren Teilen vor allem der Südhalbkugel nicht mehr für realistisch. In einer großangelegten Studie sind Forscher vor einigen Jahren zum gut begründeten und dargelegten Schluss gekommen, dass sich weltweite Extremwetterereignisse in den vergangenen 50 Jahren versechsfacht haben. Mittlerweile geht man in der Wissenschaft davon aus, dass sich deren Häufigkeit gegenüber den 1970er-Jahren bereits verneunfacht hat.

Maßnahmen notwendig

Auf die Situation an der Ahr übertragen: Es dauert künftig vermutlich nicht nur gut 100 Jahren – nimmt man die Hochwasserereignisse 1804, 1910 und 2021 als Maßstab – von einer Katastrophe bis zur nächsten, sondern womöglich nur noch rund zehn Jahre. Dagegen sollten wir uns wappnen. Meine Vorschläge als Nichtfachmann auf dem Gebiet: Tieferlegung des Flusses um mehrere Meter, wie es in einigen Alpentälern praktiziert wird, wenn möglich Flussumlegungen z.B. im Bereich Altenburg, große Rückhaltebecken an jedem Zustrom der Ahr sowie umfassende Aufforstungen im Ahrgebiet und vor allem am Oberlauf, um Regenwasser zu binden. Was passiert stattdessen? Die neuen Hochwasserzonen wurden erschreckend lax ausgelegt, in den Überschwemmungsgebieten des Juli 2021 wird teilweise schon wieder neu gebaut. Die Diskussion über Hochwasserschutzmaßnahmen ist fast zum Erliegen gekommen, die Politikkarawane ist längst weitergereist. Zur Erinnerung: Die sächsische Stadt Grimma erlebte 2002 eine „Jahrhundertflut“. Es wurde damals zunächst lediglich wiederaufgebaut. 2013 folgte die nächste „Jahrhundertflut“. Erst dann begann man, die Stadt vor weiteren Hochwasserereignissen zu schützen, u.a. indem man Häuser zwangsweise abriss und mit Flutwänden die historische Altstadt schützte.

Die Gefahr ist immens

Wir machen gerade denselben fatalen Fehler wie in Grimma – nur in noch erheblich größerem Ausmaß. Denn wir spielen an der Ahr mit dem Feuer (oder dem Wasser, wie man es nimmt), wenn wir keine umfassenden Hochwasserschutzmaßnahmen ergreifen. Es sollte jedem klar sein: Passiert eine solche menschgemachte Naturkatastrophe hier noch einmal, wird kaum noch mit Fluthelfern zu rechnen sein, dafür aber mit einer Massenflucht der einheimischen Bevölkerung. Dann ist die Region tot.

Der Wald ist bereits tot

Apropos tot: Viele vertrauen darauf, dass die Politik und die zuständigen Behörden die richtigen und nötigen Schritte ergreifen, um Missstände zu beseitigen. Wenn Sie das glauben, dann gehen Sie einmal in den Forst des Kreises Ahrweiler. Kahlschläge, so weit man sehen kann. Dabei ist es unter Forstfachleuten längst Konsens, dass mindestens 25 % der von Borkenkäfer und Hitze irreparabel geschädigten Bäume einer jeden betroffenen Fläche stehenbleiben sollten, um eine Selbstheilung oder Aufforstung überhaupt möglich zu machen. Auf kahlgeschlagenen Arealen wird aufgrund der Sonneneinstrahlung womöglich über Jahrzehnte kein neuer Wald mehr wachsen, der doch so dringend notwendig wäre, um Kohlenstoff zu binden und somit der Erderwärmung zu begegnen. Aber die Holzpreise sind ja im Moment so verlockend hoch…

Ich kann den Menschen an der Ahr nur raten: Macht Druck auf die Politik, engagiert Euch für den Hochwasserschutz. Ansonsten werdet Ihr in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten erneut die Leidtragenden sein.