Brandbrief: Mobilitätswende muss zur Kanzlersache werden

43 Organisationen fordern von Kanzler Scholz eine ökologische Reform der Dienstwagenbesteuerung, die Einführung einer CO2-basierten Neuzulassungssteuer und die Umsetzung eines günstigen, bundesweiten Nahverkehrstickets, um die Klimaziele im Verkehr einzuhalten. Unternehmerbrief fordert ebenfalls Reform der Dienstwagensteuer, Abschreibungen für E-Autos sowie strengere CO2-Flottengrenzwerte.

Stromer statt Verbrenner: Umweltverbände fordern einen schnelleren Umbau der Flotten durch Abbau fossiler Subventionen und eine CO2-orientierte Besteuerung von Dienst- und Neuwagen. | Foto: ChargePoint
Stromer statt Verbrenner: Umweltverbände fordern einen schnelleren Umbau der Flotten durch Abbau fossiler Subventionen und eine CO2-orientierte Besteuerung von Dienst- und Neuwagen. | Foto: ChargePoint
Redaktion (allg.)
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

Die Bundesregierung bekommt weiterhin starken Druck von Umweltverbänden, aber auch aus der Wirtschaft, die Klimaziele im Verkehr mit sofortigen Maßnahmen einzuhalten und das sogenannte Klimaschutzsofortprogramm zu überarbeiten. In einem Brandbrief fordern 43 namhafte NGOs, darunter T&E, Greenpeace, WWF, NABU und der VCD, unter anderem eine ökologische Umgestaltung der Dienstwagenbesteuerung, eine CO2-basierte Neuzulassungssteuer sowie die Umsetzung der Nachfolgeregelung des 9-Euro-Tickets. Zusätzliche Maßnahmen mit erheblicher CO2-Wirkung im Verkehrssektor seien dringend notwendig, appellieren die Verbände, um eine jährlich neue Zielverfehlung des Verkehrssektors zu verhindern und die Zielerreichung für das Jahr 2030 sicherzustellen. Leider könne man bislang nicht erkennen, dass der Bundesverkehrsminister entsprechende Instrumente und mögliche Ausgestaltungsvarianten erarbeiten lasse.

"Wir fordern Sie auf, Ihr Versprechen einer Klimakanzlerschaft einzulösen. Nehmen Sie den Bundesverkehrsminister und das gesamte Kabinett in die Verantwortung, das Klimaschutzgesetz einzuhalten und dazu effektive und schnell wirksame Maßnahmen vorzulegen", mahnen die Unterzeichnenden.

Verkehr stagniert bei Emissionen - Halbierung bis 2030 nötig

Dabei habe sich die gesamte Bundesregierung im Koalitionsvertrag und per Gesetz dazu verpflichtet, konkrete und ausreichend wirksame Maßnahmen auszugestalten und zu implementieren, so die Kritik. Das Klimaschutz-Sofortprogramm biete nun die Chance, dies umzusetzen. Mit rund einem Fünftel der Emissionen Deutschlands sei der Verkehrssektor zentral für die Erreichung der Klimaziele. Er ist der einzige Sektor, der seit 1990 seine Emissionen nicht nennenswert verringern konnte. Für das Erreichen des Sektorziels 2030 sei fast eine Halbierung der Verkehrsemissionen gegenüber 2019 notwendig. Dafür brauche es erhebliche Veränderungen in allen Bereichen der Mobilität: Die Verlagerung von Verkehr auf den ÖPNV, Fuß- und Radverkehr und beim Güterverkehr von der Straße auf die Schiene müsse mit Entschlossenheit und ausreichender Finanzierung vorangetrieben werden. Ebenso brauche es einen schnelleren Hochlauf der Elektromobilität in allen Bereichen.

"Dies lässt sich nicht wie bislang allein durch kostenintensive Subventionen für E-Autos herbeifördern. Es braucht eine ökologisch ausgerichtete Steuerpolitik, die eine Lenkungswirkung hin zu klimafreundlichen und nachhaltigeren Autos und weg von Verbrennern entfaltet", fordern die Unterzeichnenden.

Für den Verkehrssektor hält man dabei unter anderem folgende Maßnahmen unverzichtbar:

  • Abbau und ökologische Umgestaltung der Dienstwagenbesteuerung: Die Dienstwagenbesteuerung muss klimafreundlich umgestaltet und gleichzeitig muss das Dienstwagenprivileg sozial gerecht abgebaut werden. Die 1-Prozent-Regelung für Verbrenner und die 0,5-Prozent-Regelung für Plug-in-Hybride müssen deutlich erhöht und ökologisch ausgerichtet werden. Zusätzlich müssen die Abschreibungsmöglichkeiten für diese Fahrzeuge schrittweise beendet werden. Zwei von drei neuen Autos werden in Deutschland als Firmenwagen zugelassen, die hohe Steuervorteile genießen. Gleichzeitig sind diese Autos für drei Viertel der CO2-Emissionen von Neuwagen verantwortlich, weil sie oft emissionsintensive Verbrenner sind. Eine ökologische Reform der 1-Prozent-Regelung und der Abschreibungen könnte den Markthochlauf von vollelektrischen Firmenwagen schon kurzfristig ankurbeln, die CO2-Emissionen senken, sie ist kosteneffektiv und sozialverträglich.
  • Eine CO2-basierte Neuzulassungssteuer, die als Bonus-Malus-System einmalig bei der Erstzulassung von Verbrennern erhoben wird, ist hochwirksam, um klimaschonende Neuwagen zu befördern: In allen Ländern mit einer solchen Besteuerung liegen die durchschnittlichen CO2-Emissionen bei Neuwagen niedriger als in Deutschland. Um die Emissionen rasch zu reduzieren und den Markthochlauf von E-Autos zu beschleunigen, sollte die Bundesregierung eine nach CO2 -Emissionen gestaffelte Neuzulassungssteuer in Anlehnung an das niederländische Modell einführen. Während in Deutschland im Jahr 2020 gut 16 Prozent der Neuwagen besonders klimaschädlich waren, betrug deren Anteil in den Niederlanden weniger als drei Prozent.
  • Nachfolgeregelung für das 9-Euro-Ticket: Das 9-Euro-Ticket war mit rund 52 Millionen verkauften Fahrscheinen und rund 1,8 Millionen Tonnen eingespartem CO2 auch klimapolitisch ein enormer Erfolg. Es zeigt eindrücklich, dass der ÖPNV dann attraktiv ist, wenn er günstig und einfach zu nutzen ist. Umso entscheidender ist, dass die Nachfolgeregelung des 9-Euro- Tickets zeitnah umgesetzt wird. Ein dauerhaft bundesweit gültiges Nah- und Regionalverkehrsticket ermöglicht erschwingliche Mobilität für alle und erlaubt, mehr Wege klimafreundlicher zurückzulegen. Um Gelegenheitsnutzende zu einem dauerhaften Umstieg zu bewegen und einen merkbaren Klimaeffekt zu bewirken, sollte es deutlich günstiger als bestehende Tarife sein und muss zudem auch Menschen mit niedrigen Einkommen soziale Teilhabe ermöglichen. Dafür sollte sich der Bund mit aller Kraft und den notwendigen finanziellen Mitteln einsetzen. Um ein solches Ticket und den dringend notwendigen Kapazitätsausbau an Zügen und Infrastruktur zu finanzieren, müssen die klimaschädlichen Subventionen im Verkehrssektor endlich gestrichen werden.

Eine ökologische Reform der Dienstwagenbesteuerung sei im Klimaschutz-Sofortprogramm unerlässlich, so der NGO-Vertreter Stef Cornelis von T&E. Zwei von drei neuen Autos in Deutschland seien Firmenwagen, die meisten noch immer Verbrenner, die im Vergleich zu anderen Ländern kaum besteuert würden. Die Elektrifizierung in diesem Segment komme sehr langsam voran, weil die Dienstwagenbesteuerung keine Lenkungswirkung habe. Eine Reform würde den Hochlauf von E-Autos auf eine sozial gerechte Weise beschleunigen und den Konsum und die Abhängigkeit von Öl drastisch senken, plädiert Cornelis.

“Heute haben mehr als 40 Klima- und Sozialverbände ein klares Zeichen gesetzt. Bundeskanzler Scholz hat versprochen, ein Klimakanzler zu sein. Er muss seinen Worten nun Taten folgen lassen und verbindliche Vekehrsmaßnahmenim Klimaschutz-Sofortprogramm umsetzen, um die Emissionen in diesem Sektor endlich zu senken", appellierte Stef Cornelis, Direktor Transport & Environment Deutschland.

Parallel dazu haben auch 24 Unternehmen, darunter IKEA, LeasePlan, Aldi, Compleo oder FreeNOW, Tier, VOI, Allego oder The Mobility House einen öffentlichen Appell an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sowie Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (beide FDP) unterzeichnet, in dem die sie ebenfalls eine ökologische Reform der Dienstwagenbesteuerung, Superabschreibungen für vollelektrische Firmenwagen, ambitionierte Flottengrenzwerte und Verbrenner-Aus 2035 in Europa sowie Maßnahmen zur Ladeinfrastruktur fordern.