Agora Verkehrswende: Pendeln treibt die Emissionen

Etwa ein Fünftel der deutschen Verkehrsemissionen geht aufs Pendeln zurück, das meist mit dem Auto geschieht. Hier nachhaltigere Formen zu finden, wäre ein enorm wichtiger Baustein für die Mobilitätswende, findet Philipp Kosok, Projektleiter Öffentlicher Verkehr bei Agora.

Häufig fahren Pendler noch immer mit dem Auto - mit Corona noch zunehmend. | Foto: J. Reichel
Häufig fahren Pendler noch immer mit dem Auto - mit Corona noch zunehmend. | Foto: J. Reichel
Redaktion (allg.)
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

Die Bedeutung des Pendlerverkehrs für den Klimaschutz ist kaum zu überschätzen. Rund ein Fünftel des Personenverkehrs und der damit verbundenen Treibhausgasemissionen geht in Deutschland auf das Berufspendeln zurück. Die Emissionen hängen vor allem damit zusammen, dass Pendler:innen meist mit dem Auto fahren. Im Pandemie-Jahr 2020 ist der Anteil sogar weiter gestiegen. Pendler:innen wählten zu 68 Prozent das Auto; das sind fünf Prozentpunkte mehr als ein Jahr zuvor. Im Durchschnitt sitzen dabei jeweils nur 1,075 Personen im Fahrzeug.

Lange Wege, lange Wartezeiten

Diese Zahlen sind das Ergebnis eines langfristigen Trends. Seit 1976 haben sich die mittleren Distanzen im Berufsverkehr fast verdoppelt, von gut 8 auf 16 Kilometer (siehe Abbildung). Die Zahl der Pendler:innen, die über Gemeindegrenzen hinweg zur Arbeit fahren, war im Jahr 2020 mit 19,9 Millionen mehr als 30 Prozent höher als im Jahr 2000 (14,9 Millionen). Das Pendeln über weite Strecken wird wesentlich durch den Ausbau von Fernstraßen sowie Bahn-Fernverbindungen begünstigt. Auch der Preisverfall im Flugverkehr sowie die im Vergleich zu den Einkommen sinkenden Betriebskosten im Pkw-Verkehr machen es leichter, einen weiten Arbeitsweg in Kauf zu nehmen.

Pendeln ist Belastung fürs Klima - und die Menschen

Die Zunahme des Pendlerverkehrs belastet nicht nur das Klima, sondern auch die Lebensqualität der Menschen. Erwerbstätige brauchten vor der Pandemie werktags im Durchschnitt knapp eine Stunde für ihren Weg zur Arbeit. Studien zeigen, dass ein täglicher Pendelweg von einer Stunde oder mehr die gesundheitlichen Risiken um das Doppelte erhöht, sowohl körperlich als auch psychisch in Form von Depressionen und Stress. Wenn alle Beschäftigten einen kurzen Arbeitsweg hätten, könnte sich die Häufigkeit von Krankschreibungen in Deutschland um 15 bis 20 Prozent reduzieren. Bei Paaren erhöht sich das Trennungsrisiko um 50 bis 70 Prozent, wenn die Partnerin drei Jahre lang einen Pendelweg von mindestens einer Stunde zurücklegen muss.

Stillstand: Im Schnitt sitzt man 46 Stunden im Stau

Dass der Berufsverkehr auf der Straße an seine Grenzen stößt, belegen auch die Stauzeiten. Im Jahr 2019 standen Autofahrer:innen in deutschen Städten im Durchschnitt 46 Stunden lang im Stau – am längsten in den Metropolen. Noch höher sind allerdings die Zeitverluste im öffentlichen Verkehr. Nach Beispielrechnungen im Auftrag von Agora Verkehrswende verlieren Bus- und Bahn-Pendler:innen in Metropolen rund 50 Stunden pro Jahr durch Warten, Umsteigen sowie für Fußwege von und zu den Stationen; im suburbanen Raum steigen die Werte auf gut das Doppelte bis Dreifache.

ÖPNV ausbauen und Homeoffice stärken

Um die Emissionen im Pendlerverkehr zu senken, sollten Alternativen zum privaten Auto gestärkt werden. Auf klassischen Pendlerstrecken wären zum Beispiel schnelle Busverbindungen sinnvoll, oder auch Radschnellwege. Dafür sind massive Investitionen notwendig. Die Aufgabenträger des ÖPNV sowie der Bund müssen verstärkt die Betriebskosten des öffentlichen Verkehrs gegenfinanzieren. Eine erste Maßnahme der künftigen Bundesregierung sollte daher sein, die Regionalisierungsmittel für die kommenden Jahre weiter anzuheben. Gleichzeitig braucht es mehr Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Anbietern und über einzelne Regionen hinweg. Gute Angebote enden zu oft an den Grenzen von Städten und Landkreisen. Hier sind auch die Länder gefragt, den Kommunen mehr Anreize zur Kooperation zu setzen.

Umsteigen: Nur mit attraktivem ÖPNV oder Radwegen

Nur mit einem attraktiveren Bus- und Bahn-Angebot kann es gelingen, die Menschen zurückzugewinnen, die während der Pandemie abgesprungen sind, sowie Autofahrer:innen zum Umsteigen zu bewegen. Die in der Corona-Pandemie gesammelten Erfahrungen mit Homeoffice könnten darüber hinaus dazu genutzt werden, den Umfang des Berufsverkehrs zu reduzieren. Im Februar 2021, also im zweiten Lockdown, arbeitete fast die Hälfte aller abhängig Beschäftigten zeitweise von zu Hause. Vor der Pandemie waren es nur zwölf Prozent. Homeoffice kann einen spürbaren Klimaschutzeffekt haben: Arbeiten 40 Prozent der Erwerbstätigen jeweils zwei Tage pro Woche zu Hause, spart dies geschätzt 5,4 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr ein.

Vorsicht, Rebound-Effekte: Heimarbeit differenziert betrachten

Parteien wie FDP, Grüne und Linke haben sich im Wahlkampf für mehr Homeoffice ausgesprochen. Die SPD plädiert sogar für ein Recht auf Homeoffice. Doch bei den Auswirkungen auf den Verkehr gilt es genau hinzuschauen. Arbeiten von zu Hause könnte das Pendeln mit dem Pkw noch attraktiver machen, wenn es den Berufsverkehr entzerrt und Kapazitätsengpässe im Straßennetz reduziert. Diesen Rebound-Effekt gilt es zu verhindern. Deshalb sollten mehr Straßenflächen dem Rad- und Fußverkehr sowie dem Bus zur Verfügung gestellt werden. Zudem müssen sich auch die Tarifmodelle ändern, denn bei zeitweiser Arbeit im Homeoffice lohnen sich die klassischen Zeitkarten weniger.

Dienstwagenprivileg verlockt zum Fahren

Neben Investitionen in den ÖPNV und Homeoffice geht es auch um Reformen in Raumplanung und Finanzpolitik. Gewerbeflächen und Gewerbeparks sollten zum Beispiel nur noch dort ausgewiesen werden, wo ein Anschluss an den öffentlichen Verkehr besteht oder eingerichtet werden kann. Sämtliche steuerlichen Privilegien für Verbrenner-Dienstwagen gehören abgeschafft, denn wer einen Dienstwagen zur Verfügung hat, nutzt diesen auch für den Arbeitsweg. Stattdessen könnten Unternehmen sich stärker dafür einsetzen, dass ihre Beschäftigten sicherer, gesünder und umweltfreundlicher zur Arbeit kommen können.

Entfernungspauschale setzt falsche Anreize

Auch die Entfernungspauschale trägt dazu bei, dass Beschäftigte sich eher auf lange Arbeitswege einlassen und diese mit dem Auto zurücklegen. Denn mit ihr können sie Ausgaben fürs Pendeln als Werbungskosten geltend machen und ihr zu versteuerndes Einkommen senken. Hinzu kommt, dass vor allem Haushalte mit höheren Einkommen von ihr profitieren. Gerechter wäre zum Beispiel ein Mobilitätsgeld, das direkt von der Steuerschuld abgezogen wird. Dann wäre die Steuererleichterung je Kilometer Arbeitsweg wenigstens für alle gleich (siehe Abbildung). Übersehen wird auch meist, dass Pendler:innen durch günstigere Wohnkosten im ländlichen Raum meist schon mehr sparen, als sie für das Pendeln ausgeben. Trotzdem werden sie über die Entfernungspauschale zusätzlich entlastet

Fördern und fordern ist gefragt

Die Pandemie-Erfahrung kann eine Chance für den Pendlerverkehr sein. Es gilt, die Menschen aus ihrer Umbruchsituation durch ein leistungsfähiges, sicheres und bezahlbares Angebot von Bus-, Bahn-, Rad- und Fußverkehr abzuholen und für nachhaltigere Mobilität zu gewinnen. Dafür braucht es mehr als ein paar zusätzliche Fördermittel und Investitionen. Es geht auch darum, die über Jahre und Jahrzehnte gewachsenen Strukturen anzupacken und Autoprivilegien sowie ungerechte und klimaschädliche Verzerrungen im Steuerrecht abzubauen. Die neue Bundesregierung, egal in welcher Zusammensetzung, wird zeigen müssen, ob sie dazu bereit ist. 

Zuerst erschienen in einer leicht gekürzten Fassung als Standpunkt in Tagesspiegel Background Verkehr & Smart Mobility am 06.10.2021.