2. Münchner Mobilitätskongress: Elektrifizierung ohne Alternative

Wende gut, alles gut? Die Instrumente liegen seit den 1970er-Jahren auf der Hand, die Umsetzung beginnt nur sehr spät. Doch nicht zu spät, wenn der Wille und die Mittel jetzt zur Verfügung gestellt werden, findet eine hochkarätige Diskussionsrunde.

Die Diesel-Straße als Sackgasse: Agora-Chef Christian Hochfeld war nicht um griffige Formeln - und stimmige Fakten verlegen und forderte eine grundlegende Umstrukturierung des Systems Mobilität. | Foto: J. Reichel
Die Diesel-Straße als Sackgasse: Agora-Chef Christian Hochfeld war nicht um griffige Formeln - und stimmige Fakten verlegen und forderte eine grundlegende Umstrukturierung des Systems Mobilität. | Foto: J. Reichel
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

Auf dem 2. Münchner Mobilitätskongresses hat eine hochkarätige Runde das Thema „Der ÖPNV als Rückgrat der Mobilitätswende – Ambition und Wirklichkeit“ diskutiert und deutlich mehr finanzielle Unterstützung für den Nahverkehr gefordert. "Wir haben kein Finanzierungsproblem, wir haben ein Priorisierungsproblem", brachte es MVV-Geschäftsführer Bernd Rosenbusch (Münchner Verkehrs Verbund) auf den Punkt. Die bewilligten 2 Mrd. Euro an Regionalisierungsmitteln seien marginal, wenn man die fossilen Subventionen von 63 Mrd. Euro gegenüberstelle, wie jüngst das Umweltbundesamt vorrechnete. Die Verkehrswende könne nur mit einem starken ÖPNV als tragende Säule gelingen und die Mittel dafür stünden bereit, wenn man es nur wolle. Wenn man es nicht wolle, mache man eben weiter wie bisher, meinte Rosenbusch nüchtern.

Alle reden über die Wende: Die Zahl der Autos steigt weiter

Er verwies auf die weiter gewachsene Zahl an zugelassenen Fahrzeugen, was ihn durchaus leicht demoralisiere, wie er zugab. Weniger Autos sei eine Illusion, es gehe mit einem starken ÖPNV-Angebot darum, weniger Fahrten zu erzeugen. Dafür sei eine gute Alternative und eine starke Infrastruktur nötig, auf allen Kanälen: Bus, S-Bah, U-Bahn, Tram und auch On-Demand-Dienste.

"Die Qualität muss stimmen. Sonst ist alles Nichts", appellierte Rosenbusch, der eine jahrzentelange Vernachlässigung der Schiene konstatierte.

Ins gleiche Horn stieß auch der Geschäftsführer des Münchner Verkehrsgesellschaft (Bus, U-Bahn, Tram) und Präsident des Verbands der Verkehrsunternehmen Ingo Wortmann. Er begrüßte zwar die Mobilitätsstrategie 2035 der Stadt München und die organisatorische Aufstellung mit dem Mobilitätsreferat, mahnte aber ohne die finanzielle Ausstattung und Maßnahmen von Land und Bund würden keine Pläne helfen.

Elektrifizierung macht den "billigen Bus" teurer

Das sei auch für die Elektrifizierung der Busflotte notwendig, die das bisher billigste Transportmittel im sämtlich jeweils berechtigten Portfolio aus U-Bahn, S-Bahn, Tram und Bus deutlich verteuere. Das sei aber ohne Alternative, wolle man einen klimaneutralen Verkehr. Der Handlungsbedarf durch die Klimakrise sei enorm. Es brauche zur Umsetzung aber einen nationalen Plan, der bisher fehle. Das umfasse auch das kritische Thema Fachkräfte und Integration.

"Die Verkehrswende mit einem starken ÖPNV ist die Lösung der Verkehrsprobleme", stellte Wortmann klar.

Das unterstrich auch der Direktor des Berliner Thinktanks Agora Verkehrswende, Christian Hochfeld, der auf einen Beitrag des Juristen und Verwaltungsfachmanns Folkert Kiepe von 1994 verwies, der schon damals eine bessere Unterstützung der Kommunen bei der Verkehrswende angemahnt hatte („Für eine Wende in der Verkehrspolitik“). Ganz zu schweigen vom ehemaligen Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD), der 1970 getitelt hatte "Das Auto tötet unsere Städte", was Hochfeld zwar nicht vollständig teile, aber als griffige These schätze. Er verwies darauf, dass das Straßenverkehrsrecht aus den 30er-Jahren stamme und nicht für die aktuellen Herausforderungen geeignet sei, etwa beim Thema Tempo 30. Das sieht Hochfeld als Schlüsselelement, das von bald 1.000 Städten und Kommunen in der Initiative "Lebenswerte Städte" unterstützt werde.
 

Kein Erkenntis-, ein Umsetzungsproblem

Es gebe eben kein Erkenntnisproblem, die Maßnahmen, die schon 1970 diskutiert wurden, kämen erst jetzt langsam zur Umsetzung. Der Motorisierte Individualverkehr dominiere noch immer die Gestaltung des öffentlichen Raumes und nehme viel zu viel Platz ein. Das Auto solle nicht verbannt werden, es brauche aber eine andere Einordnung ins Gesamtsystem Verkehr, nicht unzählige Privilegien, mahnte Hochfeld. Es gelte, den ÖPNV massiv auszubauen, mit technischen Innovationen einerseits, mit Push & Pull-Maßnahmen andererseits. Niemand steige hier automatisch vom Auto in die Öffis um, das müsse nachdrücklich unterstützt werden. 

"Mehr ÖPNV bedeutet auch weniger MIV, sonst ist das eine Milchmädchenrechnung. Wir müssen das System Mobilität grundlegend erneuern. Wir brauchen eine Fairkehrswende", forderte Hochfeld mehr Ehrlichkeit in der Debatte.

Dazu gehöre auch, dem MIV die Kosten anzurechnen, die er verursache. Der Verkehr sei nach wie vor das "Sorgenkind beim Klimaschutz", verfehle laut jüngster Prognose bis 2030 seine Ziele um 118 (Verkehrsministerium) bis 190 (Klimaschutzministerium) Millionen Tonnen CO2. Die Aushöhlung der Sektorziele für den Verkehr sei verheerend, die Verkehrspolitik aktuell nicht verfassungskonform. Er mahnte ganz grundsätzlich:

"Es wird oft der falsche Eindruck erweckt, es könnte so weiter gehen. Nur wenn die Wende zur klimaneutralen Mobilität gelingt, lässt sich Mobilität überhaupt sichern."

Die Klimaziele im Verkehr seien noch zu erreichen, wenngleich sehr ambitioniert und eine Herkules-Aufgabe, machte Hochfeld mit Verweis auf eine BDI-Analyse. Dafür sei aber auch ein Umdenken der hiesigen Autoindustrie nötig, die derzeit von chinesischen Herstellern in Sachen E-Mobilität abgehängt zu werden drohe. Die Wettbewerbsfähigkeit sei essentiell. Bis 2030 könne jeder 3. Pkw und Lkw elektrisch fahren, auch die Verdoppelung bei ÖPNV und Schiene sei bis dahin noch machbar, wenn die Energiewende im Verkehr beschleunigt werde. Auch eine Kommune sei dabei in der Pflicht, speziell auch beim Aufbau von Ladeinfrastruktur, meinte Hochfeld.

"Am Ende profitieren auch die Autofahrer von der Mobilitätswende", zeigte sich Hochfeld überzeugt.

Zum Beispiel Aachen: Auch das Verhalten ändern

Isabell Strehle, Leiterin des Fachbereichs Stadtentwicklung, -planung und Mobilitätsinfrastruktur der Stadt Aachen betonte als fünfte Säule neben den Verkehrswendeelementen Fuß, Rad, ÖPNV und E-Sharing/Micromobility vor allem die Verhaltensänderung, die damit einhergehen müsse. Man spreche bei der Umsetzung der Radentscheidmaßnahmen gezielt Leute an, die bisher nicht Rad fuhren. Auch die Nutzung von Lastenrädern als Autoersatz entwickle sich erfreulich. Und nachdem man in den 60er-Jahren die Trambahn als "nicht zukunftsfähig" komplett eingestellt hatte, gebe es jetzt die erste Generation neuer Tram in Aachen.

IG Metall: Elektromobilität nicht verpassen

Sibylle Wankel, Erste Bevollmächtigte der IG Metall München, berichtete auch aus einer Befragung der Mitglieder, dass ein attraktiver ÖPNV oft priorisiert werde. Zumal es ja neben der Auto- auch die Schienen- und Radindustrie in Deutschland gebe. Sie zeigte sich enttäuscht, dass der frühe Einstieg von BMW in die E-Mobilität keine Fortsetzung erfuhr und man Tesla nicht ernst genommen habe. Sie forderte deutlich höhere Investitionen und Priorisierung. Und dieses Geld dürfe nicht ins Ausland fließen, sondern müsse in Deutschland und Europa eingesetzt werden. Zweifellos brauche es aber viel Überzeugungsarbeit, auch bei Kollegen, die stolz hochwertige Autos herstellten. Sie brachte als verkehrentzerrende Maßnahme auch eine 4-Tage-Woche ins Spiel. Und regte Mobilitätskonzepte bei Unternehmen über 100 Mitarbeitenden an, die über das Auto hinausgingen.

Bürgerschaftliche Projekte setzen gute Beispiele

Außerdem präsentierten am Verkehrszentrum des Deutschen Museums Vertreter*innen der neun bürgerschaftlichen Projekte ihre Aktionen, die derzeit in den Stadtvierteln besichtigt werden können. Bei einem Radl-Sicherheitscheck des Mobilitätsreferats konnte man sein Fahrrad prüfen lassen, bei einem Mobilitäts-Quiz sein Wissen zeigen und sich an einigen Infoständen zu Mobilitätsthemen beraten lassen.