Projekt Uni Kassel: Autoverkehr für Kommunen dreimal teurer als ÖPNV

Die Frage „Welche Kosten verursachen die verschiedenen Verkehrsmittel wirklich?“ beantworten Verkehrswissenschaftler der Universität Kassel. Das Auto schneidet dabei schlecht ab, weil es hohe externe Kosten verursacht und keine Einnahmen erzielt. Der öffentliche Verkehr wird zu Unrecht nur als Kostenfaktor wahrgenommen. Radfahren und Zufußgehen bringen sogar Nutzen.

Externe Kosten ohne Ende: Automobile Infrastrukturen verschlingen Unsummen, die kaum Beachtung finden. Sie kosten dreimal so viel für die Öffentlichen Verkehrsmittel. | Foto: J. Reichel
Externe Kosten ohne Ende: Automobile Infrastrukturen verschlingen Unsummen, die kaum Beachtung finden. Sie kosten dreimal so viel für die Öffentlichen Verkehrsmittel. | Foto: J. Reichel
Redaktion (allg.)
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

Die Universität Kassel und der Verkehrswissenschaftler Prof. Dr.-Ing. Carsten Sommer haben in einem Forschungsprojekt die Frage die wirklichen Kosten der einzelnen Verkehrsmittel untersucht und kommen zu einem klaren Ergebnis: Der Radverkehr erhält die geringsten Zuschüsse, der PKW-Verkehr in einer deutschen Großstadt kostet die öffentliche Hand und die Allgemeinheit etwa das Dreifache wie der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV). Ausgangspunkt der Untersuchtung war die schlichte Feststellung, dass Mobilität Geld kosten: Der Betrieb von Fahrzeugen erfordert Energie, verursacht Umweltschäden, setzt Investitionen in den Unterhalt der Verkehrsmittel sowie in die Infrastruktur wie Straßen und Schienen, Ampeln und Signale voraus, und er führt – im schlimmsten Fall – zu Unfällen, so die Wissenschaftler.

"Aber Mobilität hat auch einen Ertrag. Verkehrsbetriebe nehmen Fahrgelder ein, und Bewegung hält – zum Beispiel die Radfahrer und Fußgänger – gesund. Bislang aber ist für die Kommunen ziemlich offen, welchen Investitionen in ihre Verkehrssysteme, welcher Ertrag gegenübersteht", skizzieren die Kassler Forscher.

Denn der PKW-Verkehr erfordere zwar durchaus auch – wie der ÖPNV - Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur und deren Unterhalt, bringe aber den Kommunen keine unmittelbaren Einnahmen wie der ÖPNV. Das sind zwei von zahlreichen für Fachleute aufschlussreichen Antworten, die die Autoren der Studie geben. Sommer ist Leiter des Fachgebiets Verkehrsplanung und Verkehrssysteme an der Universität Kassel sowie wissenschaftlicher Leiter des Masterstudiengangs ÖPNV und Mobilität an der UNIKIMS, der Management School der Universität Kassel. In die Studie flossen zahlreiche Faktoren ein. In der Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen bringt der Rad- und Fußverkehr regelrecht einen Gewinn, da er wenig Infrastrukturinvestitionen voraussetzt, keine Emissionen und Lärm verursacht, mit wenig Unfallrisiken einhergeht und erheblich zur Gesundheitsprävention und damit zur Vermeidung von Krankheitskosten beiträgt.

Ein Exel-Tool für Kommunen

In dem zweistufigen Projekt, das durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur aus Mitteln des Nationalen Radverkehrsplans 2020 gefördert wurde, entstand auch ein „Tool“, ein Instrument auf Excel-Basis, mit dem die Kommunen die Kosten der einzelnen Verkehrssysteme bezogen auf ihre Gemeinde selbst ermitteln können. Damit können erstmalig die Zuschüsse des Radverkehrs mit denen der anderen Verkehrssysteme verglichen werden.

„Ich erhoffe mir aufgrund unserer Arbeit eine transparentere Verkehrs- und Infrastrukturplanung. Wir geben den Entscheidern in der Politik das Instrument an die Hand, sich faktenbasiert für oder gegen ein Projekt zu entscheiden. Wir betrachten dabei nicht ein Verkehrsprojekt isoliert, sondern das Gesamtsystem und die Effekte einer Einzelentscheidung auf das Ganze. Damit wollen wir die Diskussion versachlichen. Nach unseren Ergebnissen, die wir am Beispiel der Städte Bremen, Kassel und Kiel ermittelt haben, ist die Kostendeckung des PKW-Verkehrs für Kommunen deutlich geringer als die des ÖPNV. Osnabrück will unser Modell konsequent für die Verkehrsplanung nutzen. Andere Städte wollen dagegen gar keine Transparenz", erklärt Wissenschaftler Sommer.

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen zeigte sich von der Klarheit des Ergebnisses überrascht. Der Kostenvergleich schaffe Transparenz und stößt die Diskussion in den Kommunen über die wahren Kosten der Verkehrsträger an, lobt Meinhard Zistel, beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. für die Themen ÖPNV, Finanzierung, Demographie und ländliche Räume zuständig.

„Der ÖPNV wird bisher vor allem als Kostenfaktor wahrgenommen. Jetzt sehen wir, dass andere Verkehrsträger wie der PKW und der LKW für die Kommunen viel mehr Kosten verursachen als der ÖPNV. Oder andersherum gesagt: Der Kostendeckungsgrad von PKW und LKW ist viel geringer als jener des ÖPNV. Mich hat dieses Ergebnis in seiner Klarheit überrascht. Das ist eine faktenbasierte Diskussionsgrundlage, mit der ich arbeiten kann", erklärte Zistel weiter.

Laut der Verbandserhebung trägt der ÖPNV in Deutschland nach Zistels Worten 76,1 Prozent oder 13,3 Milliarden Euro aus eigenen Mitteln zur Deckung seiner Kosten bei. Hiervon entfallen etwa drei Milliarden Euro auf Ausgleichzahlungen, zum Beispiel für den Schülerverkehr und die Freifahrten für Schwerbehinderte. Die weiteren gut 10 Milliarden Euro sind klassische Fahrgeldeinnahmen. Letztere seien in den vergangenen zehn Jahren, in denen Bund, Länder und Kommunen ihre Haushalte konsolidierten, stetig gestiegen. Die Preisanpassungen lagen meist über der allgemeinen Teuerungsrate, sagt Zistel. Nun gebe es gute Argumente, auch andere Verkehrsträger angemessen an den Kosten zu beteiligen, die diese verursachten, weil sie Straßen, den öffentlichen Raum und Lichtzeichenanlagen nutzten. Der Kostenvergleich, sagt Zistel, sei zwar am Beispiel einzelner Kommunen vollzogen worden, und die Ergebnisse seien nur eingeschränkt vergleichbar.

„Aber damit steht die Diskussion am Anfang. Das Tool, das ihnen Professor Sommer von der Universität Kassel zur Verfügung stelle, sollten mehr Kommunen anwenden. Denn bisher stehen für Öffentlichen Verkehr und Schienenverkehr „immer so große Summen im Haushalt, die ins Auge springen, während die wahren Ausgaben für andere Verkehrsträger nicht gebündelt ausgewiesen werden", findet Ziste.

Der Kostenvergleich schaffe mehr Klarheit. Der VDV-Manager verwies auf den engen Praxisbezug der Studie und des damit erstellten Tools zur Kostenberechnung für die Kommunen. Auch mit dem Masterstudiengang ÖPNV und Mobilität der UNIKIMS als der Managementschool der Universität Kassel führe Sommer als Hochschullehrer Wissenschaft und Praxis zusammen. „Der Studiengang vernetzt“, meint Zistel.

Nicht alle Kommunen haben eine sichere Datenbasis

Manche Kommunen, weiß Sommer nun, haben eine ungenügende Datenbasis, wissen gar nicht, wieviel Quadratmeter Straße welcher Kategorie sie haben. Die einen beziehen auch Bundes- und Landesstraßen in ihr Anlagevermögen ein, weil sie diese unterhalten müssen, andere grenzen diese aus, weil sie ihnen nicht gehören. Erhebliche Unterschiede bestehen nach Sommers Recherche auch darin, inwieweit die Nutzer zur Finanzierung der Infrastruktur herangezogen werden. In Kassel zum Beispiel müssen die Anwohner über Straßenausbaubeiträge unmittelbar wesentlich mehr zum Bau und Erhalt der Infrastruktur beitragen als in Bremen. Die Komplexität der Betrachtung verdeutlicht die Suche nach der Antwort auf die schlichte Frage, welchem Verkehrsmittel die Kosten eines Bürgersteigs zuzuordnen sind: Gehen darauf nur Fußgänger? Und wie breit muss der Sicherheitsabstand zum motorisierten Verkehr in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit sein, mit der die Fahrzeuge dort fahren?

Die Zuschüsse für den Radverkehr fallen gering aus

Generell gilt nach Sommers Zusammenfassung der Ergebnisse aus den untersuchten Modellstädten Bremen, Kassel und Kiel, dass die Zuschüsse für den Radverkehr im Vergleich zu den anderen Verkehrssystemen gering ausfallen. Der Kostendeckungsgrad des ÖPNV – also der Beitrag, mit dem die Nutzer einer öffentlichen Investition in Verkehrswege deren Finanzierung und Unterhalt durch einen eigenen Kostenbeitrag mitfinanzieren – liegt aus der Perspektive der Kommune höher als der des PKW-Verkehrs. Der Kostendeckungsgrad des LKW-Verkehrs ist aus der Sicht der Kommune am geringsten.

Im Vergleich der Personenverkehrssysteme erzeugt der PKW-Verkehr die höchsten externen Kosten (60 bis 79 Prozent) und der Fußgängerverkehr die geringsten. Der größte Anteil an den gesamten externen Kosten (44 bis 57 Prozent) entfällt auf Unfallkosten und der geringste auf Kosten durch Lärmbelastung (4 bis 9 Prozent). Wie die Wissenschaftler rechneten In einem langjährigen Prozess, an dem Praktiker aus Kommunen in ganz Deutschland mitgewirkt haben, entstand ein Rechenmodell, in dem die Kosten der verschiedenen Verkehrssysteme - ÖPNV, PKW- LKW- und Fahrrad- sowie Fußverkehr - miteinander verglichen werden können.

„Bisher haben die Entscheider in Kommunen nur gefragt, was der Neu- oder Ausbau einer Straße kostet, wieviel eine Bushaltestelle kostet, oder welchen Zuschussbedarf eine Straßenbahn hat. Beim Bau eines Parkhauses wurden die Kosten vielleicht in das Verhältnis zu den erwarteten Einnahmen gesetzt. Aber wer weiß schon, was eine Straße wirklich kostet, wie sie im konkreten Fall von PKW oder LKW belastet wird, und wieviel Oberflächenwasser im Vergleich zur Schiene zu entsorgen ist? Was kosten Unfälle? Wie sieht die Gesamtbilanz aus? Und was ändert sich daran, wenn wir eine City-Maut erheben oder das Angebot im Straßenbahnverkehr verbessern?", formuliert Sommer.

In die Kosten der Verkehrsinfrastruktur flossen der Aufwand für die Flächen der Verkehrswege, deren Abschreibung, die Kosten der Lichtsignalanlagen, der Aufwand für Winterdienst, Straßenreinigung, Straßenbeleuchtung und Sonstiges ein. In der gesamtwirtschaftlichen Sicht kamen als „externe Effekte“, die zu monetarisieren waren, die Luftverschmutzung, Klimaschäden, Lärm und Unfälle differenziert nach einzelnen Verkehrssystemen hinzu. Zur Ermittlung der Unfallkosten und deren Zuordnung zu Verursachern zogen die Forscher die polizeiliche Unfallstatistik heran, wohl wissend, dass leichte Unfälle darin nicht vollständig enthalten sind. Da der Nutzen von Bewegung für die Gesundheit der Menschen unstrittig ist, flossen auch diese positiven Effekte der nicht-motorisierten Verkehrssysteme mit ein. Die Basis bildete das Verfahren der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu Monetarisierung solcher Effekte.

Was man oft vergisst: Die Auto-Infrastruktur fordert hohe Investitionen

Für die drei Beispielstädte ermittelten die Forscher jeweils unterschiedliche Ergebnisse, die aber angesichts der unterschiedlichen Datenbasis nur begrenzt vergleichbar sind. In Kassel zum Beispiel beträgt der öffentliche Zuschussbedarf (wie Investitionen in die Infrastruktur und deren Abschreibung, Lichtsignalanlagen, Winterdienst, Entwässerung etc.) für den städtischen Verkehr knapp 71 Millionen Euro im Jahr. Diese verteilen sich mit 5 Millionen Euro auf den LKW-Verkehr, mit 26 Millionen Euro auf den PKW-Verkehr und mit 29 Millionen Euro auf den ÖPNV. Der Radverkehr wird dagegen mit lediglich insgesamt 600.000 Euro pro Jahr bezuschusst. Die Kosten der Anschaffung und des Unterhalts der privaten Last- und Personenkraftwagen einschließlich der Versicherungsbeiträge zur Deckung von Unfallkosten sind darin freilich nicht enthalten.

Der Fußverkehr stiftet am meisten Nutzen

Die externen Kosten, die Unfälle, Lärm, Luftbelastung und Klimaschäden verursachen, berechnen die Forscher am Beispiel von Kassel mit mehr als 73 Millionen Euro. Davon verursacht der LKW-Verkehr 9,5 Millionen Euro, der PKW-Verkehr 57,5 Millionen Euro und der ÖPNV 3,5 Millionen Euro. Rad- und Fußverkehr tragen allein mit Unfallkosten (Rad 2 Millionen Euro / Fußgänger 0,7 Millionen Euro) zu den externen Kosten bei, liefern aber durch ihre gesundheitlich präventive Wirkung einen Nutzen (negative Kosten) von knapp 13 Millionen Euro durch den Rad- und knapp 68 Millionen Euro durch den Fußverkehr.

Eine City-Maut müsste üppige Kosten haben

In Kiel und Bremen ist der Anteil des Radverkehrs etwa drei Mal so groß wie in Kassel. In Bremen wiederum mit seinem Hafen hat der LKW-Verkehr einen beinahe doppelt so hohen Anteil wie in Kassel und Kiel. Um die öffentlichen Zuschüsse für den LKW- und PKW- sowie die externen Kosten dieser Verkehre durch eine City-Maut auszugleichen, müsste Bremen 36,7 Cent je LKW-Kilometer berechnen, Kassel 55,9 Cent je Kilometer und Kiel 28,7 Cent je Kilometer. Für den PKW-Kilometer müsste die Maut in Bremen 12,9 Cent, in Kassel 12,2 Cent und in Kiel 6,6 Cent betragen.

Was bedeutet das?

Nicht, dass es einen überraschen würde, dass das Auto mit all seiner angeschlossenen Infrastruktur das teuerste aller Verkehrsmittel ist. Aber in dieser Klarheit ist es dann, wie auch der VDV findet, doch überraschend. Man wünschte sich, dass die beteiligten Politiker und vor allem der Bundesverkehrsminister die Studie, die das BMDV selbst gefördert hat, zum Anlass für einen grundlegenden Paradigmenwechsel nehmen. Schafft endlich Klarheit und Transparenz über die wahren Kosten - und priorisiert die Verkehrsmittel mit den geringsten Kosten und dem größten Nutzen, spricht den Umweltverbund aus Öffis, Rad und Fuß.

Anders gesagt: Macht endlich ernst mit wirklicher Marktwirtschaft - statt weiter planwirtschaftlich an der Ideologie der autogerechten Stadt der 60er-Jahre festzuhalten, den (fossilen) Pkw und seine Infrastruktur zu subventionieren, während man speziell den Grünen immer Ideologie vorwirft. Der Neoliberalismus mit seiner schon aufgrund der physikalischen Zusammenhänge und den Grundsätzen der Thermodynamik blödsinnigen Theorie vom "immerwährenden Wachstum" ist übrigens auch eine leider seit Jahrzehnten dominierende Ideologie, die uns erst in diese klimapolitische Sackgasse und zu immer neuen CO2-Emissionsrekorden geführt hat.

Wie auch immer: Die Kassler Forscher sind sicher keine Ideologen, sondern nüchterne Wissenschaftler, die neben einer klaren Analyse auch noch ein hilfreiches Tool für Kommunen vorgelegt haben. Insbesondere einem Liberalen müsste das marktwirtschaftliche Prinzip und der Begriff "externen Kosten" doch ein Begriff sein. Mehr Ehrlichkeit, bitte!