Deutschland nicht auf Klimakurs: Expertenrat rät zu Verkehrswende
Anders als Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) sieht das wichtigste Klima-Expertengremium der Bundesregierung Deutschland nicht auf Kurs beim Klimaschutz. Man gehe von einer Verfehlung des Treibhausgas-Minderungsziels für das Jahr 2030 aus, erklärte der Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen, Hans-Martin Henning, in einer am Montag in Berlin veröffentlichten Mitteilung.
In einem rund 130 Seiten umfassenden Sondergutachten hat der Expertenrat die Projektionen, also Vorausberechnungen, des Umweltbundesamts (UBA) überprüft. Im Endeffekt empfiehlt der Rat der Regierung, rasch neue Klimaschutzinstrumente zu prüfen, vor allem in den Bereichen Verkehr und Gebäude.
Das Verkehrsministerium wiegelte prompt und wie erwartet ab: Man stehe im Verkehrssektor vor ungleich größeren Herausforderungen als in anderen und man sei generell gegen Verbote, heißt es pauschal aus dem Haus von FDP-Minister Volker Wissing.
Kernproblem sehen die Experten dabei in den Kürzungen der Mittel im Klima- und Transformationsfond. Dessen Finanzierung würde das Klimaschutzministerium gerne wieder zum Gegenstand der Haushaltsberatungen 2025 machen. Fraglich ist allerdings, ob die FDP da mitmacht, die mit Finanzminister Christian Lindner strikt auf der Schuldenbremse beharrt. Doch die Wissenschaftler können ihren Vorstoß fundiert begründen und fordern eine schnellere Transformation.
"Wir wollten genauer wissen, welche Risiken und Unsicherheit in unseren Berechnungen zur Klimaschutzwirkung bestehen. Der Expertenrat hat diese nun klar benannt. Diese Einschätzungen nehmen wir sehr ernst. Nur wenn wir Kurs halten, können wir das Klimaziel für 2030 erreichen. Besonders im Verkehrsbereich sind die Herausforderungen weiter groß", erklärte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister, Stefan Wenzel unmittelbar zu dem ersten und eigenbeauftragten Gutachten.
Die Projektionsdaten 2024 zeigten nun, so das BMWK weiter, dass die Klimaziele 2030 grundsätzlich erreichbar sind, sofern die getroffenen Annahmen und Bedingungen realisiert werden können. Der Expertenrat habe ausführlich dargelegt, wo er Risiken und Unsicherheiten in Bezug auf diese Annahmen erkennt. Auf solche Risiken und Unsicherheiten habe das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bereits bei der Vorstellung der Projektionen hingewiesen, insistierte das Habeck-Haus
Expertenrat erwartet Zielverfehlung
Habeck hatte Mitte März erklärt:
„Wenn wir Kurs halten, erreichen wir unsere Klimaziele 2030.“
Das sieht der Expertenrat anders. Bis zum Jahr 2030 soll der deutsche Ausstoß an Treibhausgasen laut Klimaschutzgesetz um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Bis 2040 sollen es mindestens 88 Prozent sein und 2050 soll Deutschland klimaneutral sein - also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als auch wieder gebunden werden können.
„In Summe können wir die von den Projektionsdaten 2024 ausgewiesene kumulierte Zielerreichung für die Jahre 2021 bis 2030 nicht bestätigen, sondern gehen im Gegenteil von einer Zielverfehlung aus“, erklärte Henning.
Warum der Expertenrat pessimistisch ist
Zwar würde laut den von Habeck im März verkündeten UBA-Projektionen Deutschland knapp innerhalb des gesetzlich erlaubten Budgets an Treibhausgas-Emissionen bleiben. Der Expertenrat erwartet aber nicht, dass es so kommt und nennt dafür zwei Gründe:
- Erstens fehlten bei den Projektionsdaten Angaben zur Wahrscheinlichkeit, dass sich der Treibhausgas-Ausstoß tatsächlich so entwickelt wie angenommen. Anhand eigener Berechnungen geht der Expertenrat davon aus, dass nicht von einer Erreichung des 2030-Ziels ausgegangen werden sollte - auch wenn zu erwarten sei, dass die Emissionen erheblich sinken. Die vorausberechneten Emissionen in den Bereichen Energie, Gebäude und Verkehr sowie mit Einschränkungen auch in der Industrie wurden nach Einschätzung der Fachleute unterschätzt.
- Das wiederum führt der Expertenrat auf den zweiten Grund zurück: Wichtige Entwicklungen, die in die Berechnungen des Umweltbundesamts nicht eingeflossen sind. Habecks Optimismus beruhte auf teils überholten Annahmen, wie Kritiker schon im März anmerkten. Denn in die Berechnungen waren nur Daten bis zum Oktober 2023 eingeflossen. Doch erst danach wurde - unter dem Sparzwang des Karlsruher Haushaltsurteils - der wichtige Energiewendetopf Klima- und Transformationsfonds zusammengestrichen. Der Expertenrat verweist auf diese Kürzungen, aber auch veränderte Markterwartungen für Gaspreise und Zertifikatspreise im europäischen Emissionshandel. Im Emissionshandel können Unternehmen mit Rechten zum Ausstoß von Treibhausgasen (Zertifikaten) handeln.
Fachleute mahnen Regierung zum Handeln
Die Wissenschaftler mahnen die Bundesregierung zum Handeln - auch wenn das jüngst vom Bundestag und Bundesrat verabschiedete neue Klimaschutzgesetz erst dann eine politische Nachsteuerung vorsieht, wenn die Daten in zwei Jahren nacheinander eine Verfehlung der Klimaziele erwarten lassen.
Denn ein erneut negativer Bescheid 2025 fiele dann in die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs. Man empfehle daher, nicht auf ein weiteres "Eintreten einer Zielverfehlung zu warten", appellierte Henning. Hinzu komme: Nach den Projektionsdaten sei auch für den Zeitraum 2031 bis 204 mit Zielverfehlungen der dann noch ehrgeizigeren Klimaziele zu rechnen. Auch das Ziel der Treibhausgasneutralität werde weder bis zum Jahr 2045 noch bis 2050 erreicht.
Der Expertenrat ist ein Wissenschaftler-Gremium. Die Mitglieder werden für eine Dauer von fünf Jahren von der Bundesregierung berufen und arbeiten unabhängig. Zu seinen Aufgaben laut Bundesklimaschutzgesetz gehört die jährliche Prüfung der vorläufigen Daten des Umweltbundesamts zum Treibhausgas-Ausstoß des Vorjahres. Alle zwei Jahre legen die Experten auch ein Gutachten vor, in dem es unter anderem um die Wirksamkeit der Klimaschutzmaßnahmen zur Erreichung der deutschen Klimaziele geht.
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