polisMobility 2023: Weniger Verkehr macht Städte attraktiver

Die Wiederbelebung der Städte hängt nicht vom Auto und vorhandenem Parkraum ab, sondern im Gegenteil: Cities, die den Raum neu verteilen, florieren. Ein Streifzug über die Messe von Parkraummanagement über die Mythen des autonomen Fahrens bis zu schnelllaufenden Rechtsabbiegern ergibt ein buntes Mosaik der Verkehrswende.

Mehr Parkplatz als Wohnraum: Man kann noch immer staunen, wie viel Fläche in Städten für Autos zur Verfügung gestellt werden - was Difu-Expertin Anne Klein-Hitpaß plakativ darstellte. | Foto: J. Reichel
Mehr Parkplatz als Wohnraum: Man kann noch immer staunen, wie viel Fläche in Städten für Autos zur Verfügung gestellt werden - was Difu-Expertin Anne Klein-Hitpaß plakativ darstellte. | Foto: J. Reichel
Martina Weyh
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

Was für ein schönes amtsdeutsches Wort: "Schnelllaufende Rechtsabbieger". Wer jetzt hier an Jogger im Turbomodus denkt, der geht - oder besser "läuft" Fehl. Und richtig lustig ist das auch nicht, aber ein Symbol für die "autogerechte Stadt", deren Priorität lautete, für fließenden Autoverkehr zu sorgen. Daher der Name. Dass diese Abbiegestellen potenziell brandgefährliche Passagen für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen darstellen, wurde über Jahrzehnte einfach so akzeptiert.

Die Stadt Köln hat diesem Relikt der 60er-Jahre seit einigen Jahren den Kampf angesagt und eine detaillierte Bestandsaufnahme über die dergestalte Autoinfrastruktur aufgestellt. Ein kleines, aber wichtiges Mosaiksteinchen der Verkehrs- und Mobilitätswende, der sich die Stadt am Rhein unter ihrer entschlossenen Oberbürgermeisterin Henriette Reker (SPD) verschrieben hat. Und das Konzept, das die Verkehrsplanerin Kristina Kollbach vom Amt für nachhaltige Mobilitätsentwicklung voller Verve vorstellt, ist schon weit gediehen.

Freilaufenden Rechtsabbiegern den Kampf angesagt

Freilaufende Rechtsabbieger sind überdurchschnittlich häufig Unfallhäufungsstellen, legt die Ingenieurin dar. Daher hat die Stadt Köln ein Projekt zur Überprüfung aller freilaufenden Rechtsabbieger aufgelegt, an 950 Lichtsignalanlagen, vulgo Ampel, hat man 310 dieser "Hotspots" klassifiziert. Derzeit werden in einem „dualen Modus“ einerseits kurzfristig freilaufende Rechtsabbieger durch einfache, bauliche Maßnahmen gesichert oder aus dem Betrieb genommen, beispielsweise durch einfaches "Abpollern", wie Kollbach darlegt.

Gleichzeitig werden durch ein von einem Gutachterbüro entwickelten „Baukastensystem“ auch weitergehende und langfristige Rückbauoptionen aufgezeigt. Stolz vermeldet die Verkehrsplanerin, dass das Projekt wurde bei der letzten Fahrradkommunalkonferenz mit dem 2. Preis des Plan F Awards ausgezeichnet wurde.

Paradigmenwechsel: Der Kölner Ring wird radtauglich

Und wenn wir schon bei Relikten der Vergangenheit sind: Der "Kölner Ring" gehört sicher auch dazu. Aber nicht mehr lange. Im Rahmen des Radverkehrskonzepts Innenstadt passiert auch entlang der fiesen Autotrasse unter dem Hashtag #RingFrei eine systematische "Spurumwandlung" von Auto- in Fahrradspuren, auf 187 Kilometern wohlgemerkt. "Wir haben hier natürlich auch die Parkplätze neu sortiert", skizziert ein Verantwortlicher nüchtern.

Aus den gefährlichen und platzraubenden Längs- und Schrägparkern wurden oft Längsparker oder die Parkplätze fielen gleich ganz weg, zugunsten eines breiten Radwegs sowie eigens eingefügten Liefer- und Taxizonen. Und klar, dass man in Köln auch an zum Karneval entfernbare Radabstellanlagen dachte. "Manchmal brauchen wir eben breite Straßen", scherzt der Verantwortliche.

Mythos vom Ausweichverkehr: Die Leute steigen um

Und der Effekt? Anders als befürchtet und von vielen Gegnern der Veränderung in jeder beliebigen Stadt stets in den Raum gestellt, hat sich in Köln der Verkehr nicht verlagert, sondern ist tatsächlich weniger geworden. Die Leute haben schlicht umdisponiert. Oder sind in Anbetracht sicherer Radinfrastruktur vom Lenkrad zum Lenker gewechselt. Zumal man die Maßnahme mit Tempo 30 flankierte und so für mehr "Augenhöhe" sorgte. Klar gab es viel Widerstand, aber das Ergebnis spreche für sich und mache die Stadt attraktiver, so der Verkehrsplaner. 

Tempo, Tempo: Mehr Macht für die Kommunen nötig

Dazu passt auch die Initiative mit dem sperrigen Titel "Lebenswerte Städte und Gemeinden durch angepasste Geschwindigkeiten", die über die Grassroots-Bewegung engagierter Kommunen für niedrigere Geschwindigkeiten berichtet und über mehr Lebensqualität, Sicherheit und Urbanität in eigener Entscheidungskompetenz, wie Mit-Initiator Uwe Müller, Abteilungsleiter Verkehrsplanung und Mobilität der Stadt Aachen betont.

Sage und schreibe 700 Kommunen haben sich der 2021 von den Städten Aachen, Augsburg, Freiburg, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm gegründeten Initiative mittlerweile angeschlossen. Und werden weiter rüde ausgebremst vom Bundesverkehrsministerium, obwohl der Ampel-Koalitionsvertrag, wie Müller zitiert, ausdrücklich dem Paradigma vom "fließenden Verkehr" gleichberechtigt "Klima- und Gesundheitsschutz" zur Seite stellt. "Viel passiert ist nach diesen verheißungsvollen Ankündigungen allerdings nicht", kritisiert Müller.

Viel zu enge Grenzen durch den Bund

Er sieht als ein wesentliches Instrument zum Erreichen des Ziels lebenswerter öffentlicher Räum sieht Müller in einem "stadt- und umweltverträglichen Geschwindigkeitsniveau im Kfz-Verkehr" – und zwar genau auch auf den Hauptverkehrsstraßen. Er schiebt ein dickes ABER hinterher: Bei der Anordnung von Höchstgeschwindigkeiten seien den Städten und Kommunen viel zu enge Grenzen gesetzt. Die Initiative wird nicht müde Druck zu machen, dass die Kommunen selbst darüber entscheiden dürfen, wann und wo welche Geschwindigkeiten angeordnet werden – zielgerichtet, flexibel und ortsbezogen. 

Parkraummanagement: Weil urbaner Raum einen Wert hat

Dem nicht minder wichtigen Baustein "Parkraummanagement" hat sich wiederum die Stadt Siegen verschrieben - und dabei sicher nicht bei allen Bürger*innen beliebt gemacht. Aber, meint Parkraumspezialistin Anne Klein-Hitpaß, Leiterin des Bereichs Mobilität beim Deutschen Institut für Urbanistik, unumgänglich und letztlich gut für alle Beteiligten. Sie entzaubert gleich mal den Mythos vom "Einbruch des Einzelhandels", wenn weniger Parkplätze für Autos vorhanden seien. Mittlerweile gebe es diverse empirische Studien aus Städten, die genau das Gegenteil belegten. Chronisch überschätzt würde stets die Zahl der "Autokunden", unterschätzt dagegen die Zahl der "ÖPNV-, Fuß-, oder Radkunden".

Mythos "Kundeneinbruch": Revitalisierung hängt nicht an Parkplätzen

Diejenigen Städte florierten besonders, die den ruhenden und fließenden Autoverkehr aus den Zentren verbannt hätten, warb die Expertin für mutige Schritte. Eine Revitalisierung der Stadtzentren sei nicht abhängig vom Vorhandensein von Parkraum und Parkplätzen. Sie monierte, es gebe keine "Kostenwahrheit" bei dem Thema, Parken sei nach wie vor viel zu billig und meist deutlich günstiger, als etwa mit einer Familie die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Und das, obwohl jeder Parkplatz jeden Tag einen Euro an Kosten für die Allgemeinheit verursache, wie Klein-Hitpaß präzisiert.

Gleichwohl werde die Einführung von Maßnahmen des Parkraummanagements oft intensiv und kontrovers diskutiert, weil sie eben Veränderungen der Alltagsmobilität mit sich brächten. Deshalb stelle die Auseinandersetzung mit dem Thema sowohl für kommunale Verwaltungen als auch für Poilitiker:innen eine Herausforderung dar, für die Klein-Hitpaß wappnen wolle.

Wichtiger Hebel der Mobilitätswende

Sie findet schlicht: Den Autos wird noch immer viel zu viel Platz eingeräumt, im Verhältnis etwa zum durchschnittlich zur Verfügung stehenden Wohn-, Spiel- oder Freiraum. Und "Raum hat einen Wert", den man wieder geltend machen müsse. Die viel debattierte Ausweitung der oft noch immer viel zu billigen Anwohnerparkzonen bringe zudem häufig viele Vorteile für die Bewohner*innen, warb die Difu-Expertin. Generell biete das Mittel des Parkraummanagements einen extrem wichtigen Hebel für die Mobilitätswende, aber auch die Attraktivierung und Klimaresilienz der Städte. 

Intermodal mobil: Bahn & Bike als Traumkombi

Damit man gar kein Auto braucht, ist auch eine nahtlose Verknüpfung der Verkehrsmittel essentiell, sprich "intermodal mobil" zu sein, wie Alexander Rosenthal, Leiter Politik vom Verband "Zukunft Fahrrad" wirbt. Während Fahrrad und Bahn beispielsweise in den Niederlanden eng zusammen gedacht und geplant werden, sah es in Deutschland bisher anders aus, skizziert er. Im Nachbarland kommen 46 Prozent der Bahnkunden mit dem Fahrrad zum Bahnhof, 20 Prozent fahren am Ziel mit dem Rad weiter. In Deutschland sind es nur etwa zehn Prozent, die mit dem Fahrrad zum Bahnhof kommen und sogar weniger als drei Prozent, die das Rad ab dem Bahnhof für die Weiterfahrt nutzen.

"Dabei ergänzen sich Fahrrad und Bahn als Alternative zum Pkw: Das Fahrrad ist als Individualverkehr extrem flexibel und schnell auf kurzen bis mittleren Strecken, der Schienenverkehr ist schnell und komfortabel auf längeren Strecken", so Rosenthal.

Sein Ziel: Eine Million Radabstellplätze an Bahnhöfen bis 2030, zusätzlich zu den bisher 400.000. Die Kosten beziffert er auf 6,7 Milliarden Euro, er empfiehlt für die schnellere Umsetzung serielle und modulare Bauweise. Wichtig sei aber auch die Fahrradmitnahme im Zug sowie Verleihsysteme an den Bahnhöfen, die die Intermodalität per Bike befördern würden. Bike Sharing solle als "Teil des ÖPNV" betrachtet werden und nicht als ökonomischer Kostenfaktor, der sich selbst tragen müsse. Das werde nicht zu schaffen sein, gab sich Rosenthal realistisch. Er warb zudem für eine Integration der Radmitnahme und Verleihsysteme ins Deutschlandticket. Und für eine bundesweite digitale Vernetzung der oft lokal und analog aufgestellten Verleiher.

Autonome Shuttles: Chance für ländlichen Raum

Apropos Intermodal: Ebenfalls als ÖPNV begreifen müsse man die aufkommenden "Autonomen Shuttles", die von diversen Mythen umrankt werden, an deren Entkräftung sich eine illustre Runde von namhaften Diskutanten machte. Gerade für intermodale Verbindungen in ländliche Regionen könnten autonome On-Demand-Angebote hilfreich sein, die Lücken auf der ersten und letzten Meile zu schließen, plädierte die Runde. Sie eignen sich zudem dazu, als Shuttles "distinkte" Gebiete zu erschließen. Aus den Erfahrungen der Pilotprojekte lassen sich bereits Erkenntnisse für die Einbindung dieser Systeme in den ÖPNV ableiten und aus Betreibersicht die Genehmigungs- und Beschaffungsfragen reflektieren, ziehen die Experten Bilanz.

Fahrermangel erhöht den Druck

Andreas Budde, Beigeordneter für Planung, Bauen, Verkehr und Umwelt, Stadt Solingen, verweist auf die Notwendigkeit autonomer Shuttles schon wegen des bereits spürbaren Fachkräftemangels hinterm Lenkrad. Bis 2030 fehlen 85.000 Busfahrer, zugleich solle die Zahl der Fahrgäste verdoppelt werden, flankierte Tanja Wiesenthal, bei der ioki Management Board Member und Senior Expert Shared Automated Mobility, Director People. Sophia Gross-Fengels, bei MHP Managerin Mobility Transformation plädierte dafür, dass die Autonomen Shuttles letztlich das eigene Auto erübrigen sollten.

Im Alltag der Menschen ansetzen

Man müsse dafür möglichst nahtlos an den aktuellen Routinen der Menschen ansetzen, so die Expertin, die daher eine Integration in den ÖPNV empfiehlt. Aus Sicht von Budde müsse es irrelevant für Nutzende sein, ob ein Shuttle mit oder ohne Fahrer unterwegs sei. Zudem müssten die Shuttles, die derzeit noch sehr teuer seien, auch zur Reduktion der Betriebskosten beitragen, denn für große Investitionen fehle den Kommunen das Geld. Das könne funktionieren, so ioki-Fachfrau Wiesenthal. Schließlich würden acht bis zehn Shuttles von einer Person "gemonitort", sprich überwacht.  

Manchmal kaum schneller als ein Rad

Dass das bereits funktioniert, darauf verwies Stephan Tschierschwitz, Leiter Mobilitätslösungen bei Schwarz Mobility Solutions, etwa in Heilbronn oder Bad Wimpfen. Manchmal sei bei den Pilotprojekten zwar noch das Fahrrad schneller, aber das scheitere nicht an der Technologie, sondern am aktuellen Rechtsrahmen. Er ist sicher, dass hier bald mehr geht. Und die Robo-Taxis dann zuerst im ländlichen Raum, wo der Druck für eine mobile Grundversorgung größer sei, zuerst kommen würden - ein weiterer Mythos, an dem allerdings etwas dran ist.

VM-THINK TANK zu City as a Service: Wie die Stadt mit Mobilität dient

City as a Service - mit welchen Mobilitätskonzepten fahren wir aus dem Verkehrsinfarkt? Mit dieser Frage fügte sich auch VISION mobility mit einem THINK TANK ins dicht gedrängte Panel-Line-up. VM-Redakteur Thomas Kanzler widmete sich dieser Frage mit kundiger Unterstützung von Dr. Isabella Geis, bei Q_PERIOR für das Beratungsfeld „Smart Mobility“ verantwortlich sowie Anne-Catrin Norkauer, bei Ramboll Deutschland Department Leader Light Rail Infrastructure and Systems. Denn: Die Zeit drängt, Staus, hohe verkehrsbedingte Emissionen sowie ineffiziente Verkehrsmittel führen in immer mehr Städten zum Verkehrsinfarkt.

Im urbanen Raum müssen die Verkehrsmittel nachhaltiger, effizienter und smarter werden, um für die Bewohner und Unternehmen weiterhin attraktiv zu sein – und um die Klimaschutzziele zu erreichen. In der lebenswerten Stadt der Zukunft muss der Verkehr intelligenter vernetzt werden. Doch wird die Vernetzung in der Smart-City zu Lasten des Individualverkehrs gehen? Wir diskutieren mit Verkehrsplanern, Beratungsunternehmen und einem Betreiber eines autonomen urbanen Shuttles darüber, welche Verkehrsmittel uns in der Zukunft in der Stadt bewegen werden.

Cargo Bike Sharing liegt voll im Trend

Und dass gerade im ländlichen Raum oder im Umland der Großstädte und eben nicht nur im urbanen Kiez Lastenrad-Verleihsysteme auch als Autoersatz taugten, darüber referierte Thomas Büermann, Project Coordinator, bei der ADFC-Initiative fLotte Berlin auf der parallel laufenden Cargo Bike Sharing Conference. Bis nach Brandenburg erstreckt sich das Einsatzgebiet der tatsächlich dank Förderung kostenlos leihbaren und hauptsächlich einspurigen Lastenräder mittlerweile, die Idee sei etabliert und "speckgürteltauglich". Die Idee der gemeinsam genutzten Güter werde erlebbar. Obwohl viele anfangs geunkt hätten, das funktioniere nie.

Wenn "Rad Spencer" das Auto ersetzt

Er führt auch den psychologischen Effekt an, wenn da auf einmal ein anderes Transportmittel als das Auto auf den Straßen auftauche, für Einkäufe und gar Umzüge verwendet werde. Und glaubt, dass so ein Umdenken und Umlenken in Gang kommt. Oder in die Gänge. Besser als der niederländische Pionier cargoroo kann man es nicht auf den Punkt bringen, was in Sachen geteilte Lastenräder aktuell passiert: "Aus der Nische in den Mainstream". Unser persönlicher Favorit bei fLotte, deren Bikes natürlich lustige Namen tragen: Rad Spencer, zu leihen in Falkensee!