Es gibt einen Problembär in der Ampel. Der heißt FDP. Immer wenn es darum geht, sofortige Maßnahmen zum Klimaschutz im Verkehr und zur Mobilitätswende zu ergreifen, kneift deren Minister Volker Wissing. Das soeben wegen der anhaltenden Verfehlung der Klimaziele im Sektor nötig gewordene Klimaschutzsofortprogramm war ein notdürftig zusammengedengelter Katalog aus sicherlich löblichen Projekten wie Ladeinfrastrukturausbau für Pkw und Lkw, Flottenerneuerung, Aerotrailer oder urbane Seilbahnen, die aber keine Übereinstimmung mit dem federführenden Wirtschafts- und Klimaschutzministerium herbeiführten. Und vor allem eines nicht haben: Sofortige Wirkung. Kurioserweise gibt das sogar das Ministerium selbst zu und formuliert im Stile eines Offenbarungseids:
"Ein Großteil dieser Maßnahmen wird aber erst nach und nach greifen, beispielsweise aufgrund der langen Realisierungszeiten für Infrastrukturprojekte".
Die hätte zum Beispiel das 9-Euro-Ticket. Immer mehr schält sich heraus, dass es zwar klimatechnisch nicht unbedingt viel, aber doch ein bisschen was bringt, aber sozialpolitisch ein großer Erfolg ist - und das obwohl viele Fachleute anfangs äußerst skeptisch waren.
Einfach mal machen, das wäre überhaupt eine Empfehlung an die bräsigen Deutschen, die man aus der Maßnahme ableiten kann.
Oder in Umkehrung der Forderung der Fachleute: Erst Nachfrage, dann Angebot. Die Züge waren voll wie vor Corona mit 42 Prozent mehr Bewegungen auf der Schiene im Vergleich zu Juni 2019, das Chaos nicht größer als sonst bei der Bahn, die Leute in Anbetracht des günstigen Preises ebenso gütig gewogen. Vor allem auf Distanzen zwischen 30 und 300 Kilometer legte die Bahn massiv zu. So lagen die Zugreisen auf kurzen Strecken in der ersten Juniwoche bereits 58 Prozent über dem Vorkrisenniveau, laut Statistischem Bundesamt. Satte 88 Prozent der 9-Euro-Ticket-Nutzer, 48 Prozent der Erwachsenen in Deutschland, zeigten sich laut VDV "vollkommen zufrieden" mit den Erfahrungen.
Sozialpolitisch ein großer Coup, klimatechnisch ein kleiner - immerhin
Offenbar erschloss sich die Mobilität für Gruppen, die sich die Öffis sonst überhaupt nicht leisten könnten, ein toller Erfolg. Ein paar Autoumsteiger, die das Pendeln mal mit den Öffis ausprobierten, nimmt man da auch gerne mit. Jede vierte Fahrt, ergab die Markforschung des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), hätte ohne das Billig-Ticket gar nicht stattgefunden, nur sechs Prozent sind von anderen Verkehrsmitteln umgestiegen, es scheint eher mehr Verkehr gegeben zu haben.
Allerdings eher weniger auf der Straße, und das wäre doch auch eine kleine, aber feine Botschaft: Entgegen ersten Analysen von Google und TomTom, weisen die Mobilfunkdaten, die das Statistische Bundesamt jetzt auswertete, darauf hin, dass es im Straßenverkehr einen "moderaten Rückgang" gegeben habe, speziell auf den für das 9-Euro-Ticket prädestinierten Relationen. Könnte sein, dass der Effekt noch größer war, weil die Daten keine Trennung zwischen Pkw und Bussen zulassen. Der Ministerium selbst vermeldete am 8. Juli: Seit der Einführung des 9-Euro-Tickets hat sich der Stau in 23 von 26 untersuchten Städten reduziert – das zeigt eine Analyse des Verkehrsdatenspezialisten Tomtom. Besonders stark fiel die Verbesserung in Hamburg aus: Hier sank das Stauniveau sogar um 20 Prozent.
Laut einer konservativen Greenpeace-Schätzung ließen sich also 1,9 bis fünf Prozent der Autofahrten ersetzen, ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket hätte das Potenzial, zwei bis vier Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einzusparen, mehr als alle vom Ministerium im sogenannten "Klimaschutzsofort-Programm" vorgeschlagenen Maßnahmen.
Billigticket schlägt Tankrabatt
Nicht zuletzt läuft es deutlich besser als der ebenfalls von der Partei der Marktwirtschaft ins Spiel gebrachte Tankrabatt, der völlig zu verpuffen scheint und primär für die Mineralölkonzerne zum - sorry für das unselige Wortspiel in diesen heißen Zeiten - zum warmen Fossilregen wird. Der könnte noch größer werden, wenn die FDP sich mit einem weiteren Vorschlag aus der "fossilen Mottenkiste" durchsetzt: Eine Erhöhung der Pendlerpauschale brachte FDP-Chef Lindner doch glatt ins Spiel. Die solle schon ab dem ersten Kilometer gelten. Fachleute weisen immer wieder darauf hin, dass von der Pendlerpauschale vor allem gutverdienende Autofahrer profitieren. Die Pauschale fließe zu 80 Prozent an Autofahrer, kritisierte die Allianz Pro Schiene und sei eine "umweltschädliche Subvention". Lindner torpediere die Verkehrswende und den Umstieg auf Bus und Bahn. Den hat man doch eben so schön auf den Weg gebracht - konterkariert die eigene Politik mal wieder mit gegenläufig wirkenden Maßnahmen.
Signal zum Aufbruch in die Verkehrswende
Denn vor allem taugt das 9-Euro-Ticket zum Symbol und Signal zum Aufbruch in die Verkehrswende, das nicht zu unterschätzen ist. Kurioserweise hatte der Verkehrsminister in der Koalitionsrunde da aus der Not mal eine gute Idee, wobei die Grünen die Urheberschaft reklamieren können und eigentlich ja sogar einen kostenlosen Nahverkehr für drei Monate vorgeschlagen hatten. Den wollte der Minister partout nicht und brachte das 9-Euro-Ticket ins Spiel. Jetzt zeigt er sich erfreut, lobt vor allem die Lichtung des bundesweiten Tarifdschungels. Lobt das Ticket als "Riesenerfolg", unter den 31 Millionen Nutzern seien auch viele Berufspendler. Man habe einen "Modernisierungsschub" ausgelöst bei der Bahn, der ÖPNV sei ein "Stück digitaler geworden".
Steilvorlage wird vertändelt
Statt aber diese Steilvorlage jetzt, um in beliebten Fußballanalogien zu sprechen, im Tor zu versenken, sprich, schnell ab September eine Nachfolgeregelung, sei es nun 29-Euro-Ticket wäre, für das sich Verbraucherverbände und Umweltgruppen stark machen, ein wie vom VDV vorgeschlagen 69- oder auch ein wie von Markus Söder hinterfotzig aus Bayern von Berlin geforderten 365-Euro-Ticket auf den Weg zu bringen, haut Wissing wieder die Bremse rein. Und will - Hilfe!!!! - erst einmal evaluieren und auf Basis der für November erwarteten Daten eine Untersuchung beauftragen. Im Hintergrund will der Minister wohl vor allem mehr Geld einnehmen, wenn er sinniert, es sei ja nicht so, dass der niedrigste Preis immer die größte Zufriedenheit herbeiführe und es müsse am Ende auch in die Haushalte des Bundes und der Länder passen ...
Das würde alles sehr schnell passen, wenn man endlich die klimaschädlichen Subventionen wie Diesel- und Dienstwagenprivileg oder den Kerosinrabatt striche, dazu die PHEV-Förderung und endlcih eine strikt CO2-orientierte Kfz-Besteuerung einführte. Das Budgetticket kann man sich leisten, wenn man es will.
Hitzewelle?! Egal, die FDP will lieber höhere Pendlerpauschale
Das Zögern ist vor allem auch vor dem Hintergrund einer historischen Hitzewelle, die über Europa und Deutschland rollt, völlig unverständlich. Aber symptomatisch für die Konstellation in der Koalition: Eine Partei will den Status Quo bewahren, das ist die FDP. Eine Partei will vor allem Kanzler bleiben, das ist die in vielen Dingen seltsam indifferente und wankelmütige SPD. Daher will sie den hedonistischen FDP-Zampano Christian Lindner nicht vergrätzen, gegen den sich Volker Wissing auch nicht aufbegehren traut, selbst wenn er persönlich als gläubiger Christ bestimmt eine sofort wirksames Sofortprogramm beschließen, um die akut bedrohte Schöpfung zu bewahren. Die einzige Partei in der Ampel, die die Klima- und Verkehrswende wirklich vorantreibt, sind die Grünen. Doch das ist zu wenig. Wie kanzelte Lindner mal die Klimaaktivistin Greta Thunberg ab: Klimaschutz sei eine Sache für Profis. Dann ist das leider nicht sehr professionell, was die FDP abliefert.
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