Neun-Euro-Ticket: Nur ein Schnellschuss mit symbolischem Wert?

Harsches Urteil zur beschlossenen ÖPNV-Ermäßigung von Verkehrsforscher Heiner Monheim, der das vergünstigte Ticket für einen Schnellschuss hält, der langfristig nicht viel ändert, vor allem im ländlichen Raum.

Keine dauerhafte Wirkung: Ein Neun-Euro-Ticket wird nach Einschätzung des Verkehrsforschers Heiner Monheim keine langfristig Änderung im Verkehrsverhalten bewirken. Er forder schnell einen Deutschlandtakt und einheitliches Tarifsystem. | Foto: DB
Keine dauerhafte Wirkung: Ein Neun-Euro-Ticket wird nach Einschätzung des Verkehrsforschers Heiner Monheim keine langfristig Änderung im Verkehrsverhalten bewirken. Er forder schnell einen Deutschlandtakt und einheitliches Tarifsystem. | Foto: DB
Martina Weyh
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

Während die ÖPNV-Unternehmen rätseln, wie das von der Ampel beschlossene Neun-Euro-Ticket umgesetzt werden soll, hat der renommierte Verkehrsforscher Heiner Monheim harsche Kritik an der Maßnahme geäußert. Die Umsetzung wird aktuell im Verkehrsministerium geprüft, FDP-Verkehrsminister Wissing hatte eine administrativ unkompliziert umsetzbare Gratis-Maßnahme wie von den Grünen gefordert abgelehnt.

"Das ist ein Schnellschuss, der nur symbolischen Wert hat. Langfristig wird sich damit nicht viel ändern. Ein massenhafter Umstieg der Bevölkerung auf öffentliche Verkehrsmittel ist so nicht erfüllbar", erklärte der Mobilitätsexperte gegenüber der Süddeutschen Zeitung.

Speziell im ländlichen Raum könne man mit dem Neun-Euro-Ticket keine neuen Kapazitäten schaffen. Die Verkehrsverbünde würden sich fragen, wie die Umsetzung organisiert und administriert werden soll. Das sei ein "bürokratischer Affenzirkus", ähnlich dem 365-Euro-Ticket, das ein Jahr lang als Modellprojekt in sechs Städten gefördert worden war. Dies sei "in den Mühlen der Bürokratie zermahlen" worden.

Dualität zwischen Stadt und Land

Monheim verwies generell auf die Dualität zwischen Ballungsräumen und plattem Land. Die Zuständigkeiten seien beim Straßennetz klar geregelt, im öffentlichen Verkehr dagegen nicht. Es herrschten 16 Nahverkehrsgesetze, Landkreise organisierten den Schülerverkehr. Etwas wie Dorf- oder Landbusnetze gebe es in Deutschland nicht. Im Busbereich geben es riesige Netz- und Taktlücken.

"Ohne den ländlichen Raum geht aber keine Verkehrswende", erklärte Monheim.

Statt "Kleinstaaterei" forderte er ein einheitliches Tarifsystem, in das auch die Schiene eingebunden werde. Es gebe nach wie vor kein Generalabo für den kompletten ÖV wie in der Schweiz. Die Bahn Card 100 sei ein "kleiner, aber sündhaft teurer Anfang".

"Wenn der Bund klimapolitisch seine Hausaufgaben machen will, dann muss er parallel zum Deutschlandtakt einen Deutschlandtarif entwickeln, zusammen mit den Ländern", forderte Monheim.

Er sieht aktuell ein "Window of Opportunity" durch die Klimakrise, der Deutschlandtakt mit Halbstundenrythmus müsse schnellstmöglich eingeführt werden. Langfristig sei die Reform des Güterschienenverkehrs sowie eine Wiedereinführung von Interregio und Nachtzügen essentiell. Kurzfristig hält Monheim steuerliche Maßnahmen zur Lenkung für sinnvoll.

"Die Befreiung von der Kerosinsteuer für die Luftfahrt sollte man zurücknehmen und die Mehrwertsteuerregelung für den ÖPNV und die Stromsteuerregelung für den elektrischen öffentlichen Verkehr endlich ändern", plädierte Monheim.