Tankrabatt & 9-Euro-Ticket: Aktionismus statt Klimaschutz

Mit den Entlastungspaketen hat die Bundesregierung zwar einen Kompromiss erzielt, aber zwei Maßnahmen ergriffen, von denen eine völliger Irrsinn ist. Und die andere gut gemeint, aber schlecht gemacht. Doch wie der Verkehrsminister tickt und wo seine Prioritäten liegen, zeigte sich bei einer Diskussion des BUND: Autofahren ist ok, Öffis und Rad sind ok. Alles ist gut und auf dem Weg. Eben nicht!

Zum Davonflattern: Die Politik der Ampel-Regierung ist voller innerer Widersprüche. Und ein Kompromiss, der allem dient, nur nicht dem Klimaschutz. | Foto: AdobeStock
Zum Davonflattern: Die Politik der Ampel-Regierung ist voller innerer Widersprüche. Und ein Kompromiss, der allem dient, nur nicht dem Klimaschutz. | Foto: AdobeStock
Redaktion (allg.)
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

Politik ist die Kunst des Möglichen - dieses Merkelsche Dogma wird auch von der Regierung Scholz weitergeführt. Sie genügt aber nicht in Zeiten der verschärften Klimakrise: Politik als Kunst des Nötigen wäre dringend geboten. Denn diese Krise lässt der Menschheit keine Zeit mehr für faule Kompromisse, die es viel zu lange gab. Die Merkel-Scholz-Doktrin mündet immer wieder in halbgare Vereinbarungen, bei denen jede der doch äußerst diversen Ampel-Partner ein bisschen was bekommt. Aber dem Ganzen dadurch nicht gedient ist.

Jüngstes Beispiel sind die beiden Entlastungspakete, die sich sogar diametral widersprechen. Der von FDP und SPD-Kanzler Scholz forcierte Tankrabatt verbilligt in völlig aus der Zeit gefallener den Sprit, wo das Preissignal doch genau das Gegenteil bewirken sollte: Dass die Bürger*innen weniger (fossiles) Auto fahren und mehr den Umweltverbund nutzen. Und das von den Grünen im Gegenzug ausverhandelte Neun-Euro-Ticket für den Nah- und Regionalverkehr will die Bürger*innen für die Öffis begeistern und dadurch letztlich dem Klimaschutz dienen.

Aber die sind in so bemitleidenswertem, weil in 16 Jahren Großer Koalition und CSU-Verkehrsministers dermaßen heruntergehungert, dass zu befürchten steht, am Ende kommt mehr Enttäuschung als Begeisterung heraus. Gut, man soll nicht unken - und es ist prinzipiell richtig, im Land der "German Angst" auch mal etwas zu wagen und neue Wege auszuprobieren.

Aber normalerweise geht solchen Maßnahmen die Ertüchtigung der Infrastruktur voran, die dann auf eine staatlich incentivierte Nachfrage trifft - und dieser auch standhält. Die eigene jüngste Erfahrung mit einem Bahn&Bike-Trip, der gezwungenermaßen in eine Endlos-Kette von Karlsruhe nach München im Regionalverkehr verlegt wurde, lässt das Schlimmste befürchten. Selbst FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing sprach bei einer Diskussion zum Thema Mobilitätswende beim BUND von einem schon heute "permanenten Stresstest für das Ministerium" - und dass man das Neun-Euro-Ticket nur unter größten Anstrengungen habe realisieren können.

"Gut gemeint" könnte sich einmal mehr als das Gegenteil von "gut gemacht" erweisen. Wenn, dass hätte man, um den administrativen Aufwand zu reduzieren, das Ticket kostenfrei machen müssen. Oder das Geld verwenden, um den ÖPNV generell besser auszustatten statt für eine temporäre Maßnahme, deren Effekt wahrscheinlich verpufft, wenn er nicht sogar kontraproduktiv wirkt.

Als "ziemlichen Quatsch" hat darüber hinaus der VWL-Professor und Präsident des Münchner Ifo-Instituts Clemens Fuest den Tankrabatt bezeichnet. Er sieht darin eben jenes verfehlte Signal, mehr Öl statt weniger zu verbrauchen und befürchtet, das Instrument werde alles tun, nur nicht dem Klimaschutz dienen. Zudem kritisiert er die krasse Umverteilung von Unten nach Oben, weil eben Betuchtere Bürger*innen mit großen Autos, die mehr fahren, am meisten profitieren. Das jüngst beschlossene, lückenhafte Ölembargo der EU werde Putin kaum schaden, insofern kaum nützen, immerhin hierzulande kaum Folgen im Hinblick auf die Versorgungssicherheit zeitigen.

Die Gefahr besteht zudem, dass am Ende die Mineralölkonzerne noch kräftiger Kasse machen, als seit Beginn des Ukraine-Kriegs ohnehin schon. Fuest verwies auf die Erfahrungen aus der Mehrwertsteuerabsenkung während der Pandemie, nach denen ein Drittel der  bei den Mineralölkonzernen verblieben. Kein Eingriff in Preise, sondern gezielte Eingriffe für unterstützungsbedürftige Gruppen wie Fernpendler oder das mittelständische Gewerbe mit hohem Spritbedarf hielte er für zielführender. Die Preise jedenfalls zogen schon mal tüchtig an vor dem Start der Sprit-Orgie, wie eine Auswertung der Münsteraner Fachhochschule und ihrer "FairPrice"-App ergab. Und sind ohnehin schon länger entkoppelt vom Rohölpreis.

"Die Maßnahme mutet an, als wolle die Ampel-Regierung noch zu einer letzten Fossil-Party auf der Titanic einladen. "Fahrt Leute, fahrt!" ist die Message, die alle Warnungen und Mahnungen ignoriert und schlicht die Klimakrise völlig ausblendet".

Man arbeite den Koalitionsvertrag ab - und störe ihn nicht, gab Minister Wissing bei der BUND-Debatte zu Protokoll. Ihn stört offenbar nicht, dass Maßnahmen wie der Tankrabatt und die für die FDP überhaupt nicht zur Debatte stehende Weiterführung der fossilen Subventionen wie Dienstwagen-, Diesel- und Kerosinprivileg oder Pendlerpauschale die höchstinstanzlichen Forderungen des Bundesverfassungsgerichts für mehr Klimaschutz zur Bewahrung der Freiheitsrechte künftiger Generationen unterminieren, ganz abgesehen vom Pariser Klimavertrag.

Wissings Freiheitsbegriff endet an der Tiefgarage: Jeder soll das Verkehrsmittel wählen können, das ihm beliebt. Meist sei das halt das Auto.

Und man könne den Leuten doch ihre Autos nicht verbieten, insbesondere am Land. Man müsse alle mitnehmen, bei der großen Transformation, müsse auf die Industrie achten, damit Klimaschutz auch auf Dauer nachhaltig sei, rechtfertigte er. Es gelte, auch die Haltung der anderen Seite zu akzeptieren, nicht gegeneinander, sondern miteinander zu arbeiten, philosophierte der Minister weiter und verweigerte damit weiterhin eine klare Priorisierung umweltfreundlicher Mobilität. Er wolle, dass die Transformation als Fortschritt begriffen werde, schwurbelte der FDP-Mann weiter. Ein Tempolimit lehne er aber weiter ab. Das sei schon in den Verhandlungen zum KOA-Vertrag rausgeflogen, weil es keinem der Partner so wichtig gewesen sei, behauptete Wissing.

Und: Die Regierung müsse sicherstellen, dass man auch mit dem Auto an den Arbeitsplatz oder zum Einkaufen kommen könne, der Verkehr müsse "fließen können", so der Minister. Und meinte damit natürlich den Autoverkehr, wie Julia Dade, Bundesvorstand BUNDjugend prompt monierte. Von der Förderung privater Lastenräder als Autoersatz übrigens hält der Minister gar nichts. Nicht noch eine weitere Subvention, meint er hier ...

Die Politik des Verkehrsministeriums blende völlig aus, dass es 30 Millionen Menschen in Deutschland gebe, die keinen Pkw-Führerschein hätten. Ihre Freiheit, nicht mit dem Auto, sondern sicher mit dem Rad zu fahren, zu Fuß zu gehen oder auch am Land einen zuverlässigen ÖPNV zu haben, spiele für Wissing keine Rolle, warf sie dem Minister vor. Und forderte wie Bandt ein sofortiges Moratorium für den Straßenbau und verwies auf die 149 Milliarden Euro, die für fossile Subventionen flössen, wobei gleichzeitig auf der Schiene ein Investitionsstau von 80 Milliarden Euro aufgelaufen sei. Hier liege auch das größte Potenzial zur Finanzierung umweltfreundlicher Mobilität.

Klimaschutz darf nie zu teuer sein, es gehe um nicht weniger als Klimagerechtigkeit, mahnte die Umweltaktivistin.

Olaf Bandt forderte, die FDP dürfe nicht in ihrer Blockadehaltung verharren und in Anbetracht der globalen Herausforderungen nicht im Koalitionsvertragsmodus weiter "Dienst nach Vorschrift" machen und die überholte Verkehrswegebedarfsplanung von 2016 als Vorlage nehmen. In der heutigen Zeit seien Autobahnneubauten wie die A20 im Norden nicht mehr zu rechtfertigen, kritisierte der BUND-Vorsitzende. Der Geist des Vetrages verspreche im Übrigen, dass man neue Weg gehen wolle. Nur fördern, nichts zumuten, das werde nicht funktionieren, so Band. Im Übrigen stehe man bereit für eine Planungsbeschleunigung, die auch den Umweltschutz berücksichtige.

Die FDP müsse an ihrem Freiheitsbegriff speziell auch auf dem Gebiet der Mobilität arbeiten, mahnte BUND-Chef Olaf Bandt abschließend an - nur halb im Scherz. Denn es ist bitterer Ernst. Leider hat er Recht.