Agora #Stadtgespräch 2023: Für die Verkehrswende das „Steinzeithirn überwinden“

Klar liegen die Fakten auf der Hand, aber die Mobilitätswende macht vielen Menschen Angst. Damit der Übergang vom Planen ins Handeln gelingt, muss der mentale Schalter umgelegt werden - und der Fokus weg vom Verzicht hin zu den Chancen. Am Beispiel Hamburg erläutert Verkehrssenator Anjes Tjarks, wie weit man damit gekommen ist.

Sowohl als auch: Für den Hamburg-Takt sieht Verkehrssenator Anjes Tjarks den Ausbau des klassischen ÖPNV sowie der neuen On-Demand-Shuttles als unerlässlich an. Dann können die Öffis das eigene Auto obsolet machen. | Foto: Screenshot
Sowohl als auch: Für den Hamburg-Takt sieht Verkehrssenator Anjes Tjarks den Ausbau des klassischen ÖPNV sowie der neuen On-Demand-Shuttles als unerlässlich an. Dann können die Öffis das eigene Auto obsolet machen. | Foto: Screenshot
Redaktion (allg.)
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

Mit einem Plädoyer für eine "empathische Mobilitätswende, die die Leute mitnimmt" ist in Hamburg das #AgoraStadtgespräch über die Bühne gegangen. Die Mobilitätswende müsse in den Köpfen starten, appellierte der Hamburger Verkehrssenator und Leiter der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende der Freien und Hansestadt Hamburg Dr. Anjes Tjarks. Das sei zuvorderst eine mentale Aufgabe, unterstrich auch die Prof. Dr. Maren Urner, Neurowissenschaftlerin, Professorin für Medienpsychologie. Es gehe darum, aus dem "kurzsichtigen Angsmodus" in eine langfristige Perspektive zu wechseln, die die Vorteile und die Notwendigkeit einer Mobilitätswende sichtbar macht. Die positive Formulierung der Ziele sei entscheidend, flankierte Tjarks aus der Praxis: Es gehe etwa nicht um den Abbau von Parkplätzen, sondern um den Ausbau von Radwegen und sicherer Radinfrastruktur. Urner verwies darauf, dass die aktuellen politischen und medialen Strukturen die Angstimpulse mehr ansprechen würden, als die Chancen herauszustellen. Dadurch hätten die Parteien, die gegen Veränderung seien, solchen Erfolg. Urner erklärte das auch aus der Hirnstruktur des Menschen, der auf die "Bedrohung" einer Veränderung schnell reagiere, was aber im Kontext der Herausforderung der Klimakrise die genau falsche Strategie sei. Es gelte, auch die mediale Debatte abzukühlen und zu beruhigen. 

Der Hamburger Verkehrssenator forderte von der Bundesregierung mehr "Beinfreiheit für Kommunen" und die Umsetzung der Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag, die Gleichwertigkeit von Umwelt und Gesundheit in der Mobilität neben Leichtigkeit und Sicherheit stellen. Dafür brauche es ein neues Straßenverkehrsrecht, das den den Städten und Gemeinden etwa stadtweite Tempo-30-Regulierungen und generell Anordnungsfreiheit ermögliche, je nach örtlichen Erfordernissen. Das sei auch eine bloße Frage der "Subsidiarität" und "wahrhaft liberale Politik". Generell empfahl er Kommunen die Aufstellung eines Generalverkehrsplans.

Kurzstrecken mit Rad und Fuß - längere Strecken mit den Öffis

Tjarks setzt für die Erreichung der Klimaziele in Hamburg - die Reduktion der CO2-Emissionen um 70 Prozent bis 2030 - auf mehrere Elemente. Auf Kurzstrecken den Ausbau des Rad- und Fußverkehrs und auf längeren Distanzen den Ausbau des ÖPNV. Für ersteres wurde ein Bündnis für Rad- und Fußverkehr begründet, das man nun aber auch "administrativ orchestrieren" müsse, wie Tjarks meinte. Geplant ist ein Netz aus Radschnellwegen ins Umland und ein städtisches Radwegenetz. Vor allem der Mangel an Verkehrsplanern mache sich hier bremsend bemerkbar.

Zudem würden durch die Vorgaben der FGSV die "falschen Radwege" gebaut, für eine noch immer "autozentrierte Stadt". Es brauche aber baulich getrennte, eigenständige und sichere Radinfrastruktur. Tina Wagner Abteilungsleiterin Verkehrsentwicklung und Mobilitätsstrategie,
Behörde für Verkehr und Mobilitätswende, Freie und Hansestadt Hamburg, sieht vor allem auch im Einsatz von Pedelecs einen wichtigen Baustein hier weiter voranzukommen. In den Daten zeige sich ein erster Erfolg der Radwegoffensive, das Rad sei das einzige Transportmittel, das deutliche Zuwächse verzeichne, so Tjarks. Bis 2030 soll der Anteil von aktuell 22 Prozent auf 25 bis 30 Prozent steigen.

Ein grundlegend anderer ÖPNV nötig

Für mehr ÖPNV-Anteil bedürfe es eines "grundlegend anderen ÖPNV", der auch deutlich mehr Komfort als aktuell biete und mit der Alternative des eigenen Autos konkurrieren könne, forderte Tjarks. Zwar seien die Zahlen schon jetzt im Trend positiv und der ÖPNV bewältigte 2022 erstmals mehr Personenkilometer als der MIV (Motorisierte Individualverkehr), wie die jüngste, alle zwei Jahre durchgeführte, stadteigene Mobilitätserhebung ergab. Generell sei im Übrigen essentiell für die Städte, eigene Daten zu generieren, woran bisher großer Mangel bestehe. Hamburg gehe hier als erste Großstadt voran. Doch man müsse hier noch deutlich nachlegen, wenn es bis 2030 den sogenannten Hamburgtakt geben soll, der in fünf Minuten Gehweg ein ÖPNV-Angebot für jede Bürgerin und Bürger zur Verfügung stellt. Tjarks verwies auf den Neubau von U- und S-Bahnen für die Masse an Fahrgästen, aber auch auf den flächendeckenden Einsatz von autonom fahrenden Shuttles, die vor allem Kosten und Personal einsparen könnten, aber auch den nötigen Komfort für den Umstieg vom Auto bieten könnten. Hier sei ein Technologiesprung notwendig.

Dafür warb auch der Vorstandsvorsitzende der Hamburger Hochbahn Henrik Falk, der die Technik auch aus eigener Erfahrung in San Francisco für marktreif hält und die Shuttles als Lückenschluss auch im Stadt-Umland-Verkehr für unabdingbar hält. Es gehe hier auch um einen anderen "Lifestyle" im ÖPNV und bedeute nicht eine Evolution, sondern eine Revolution im Verkehr. Sylvia Lier, Geschäftsleitung TAF Ticketing & Mobility Solutions, Jena zeigte sich überzeugt, dass sich auch im ländlichen Raum zahlreiche eigene Autos ersetzen ließen mit einem verstärkten Einsatz, autonomer On-Demand-Shuttles. Es gelte, wichtige Erfahrungen zu sammeln, um dann auch einen Service auf Level 5 anbieten zu können, der sich im Zweifel auch exportieren lasse. Claudius Mozer, Geschäftsführer SVG Südwestholstein ÖPNV-Verwaltungsgemeinschaft, verwies darauf, dass sich die Masse an Menschen, die es für eine Verkehrswende zu befördern gelte, nicht mit On-Demand-Shuttles bewältigen lasse, diese aber eine wichtige Ergänung sein könnten.