Reiseanalyse: Katastrophale Gegenwart – Fokus aufs zweite Halbjahr 2021

Der internationale Tourismus ging 2020 im Verhältnis zu 2019 um 72 % zurück.

Ob dies das bestimmende Bild des Reisejahrs 2021 sein wird, bestimmen vor allem die weitere Entwicklung der Coronapandemie und die Impferfolge. (Foto: Pixabay/Andy Bay)
Ob dies das bestimmende Bild des Reisejahrs 2021 sein wird, bestimmen vor allem die weitere Entwicklung der Coronapandemie und die Impferfolge. (Foto: Pixabay/Andy Bay)
Claus Bünnagel

Auf der CMT Digital 2021 stellte Tourismusforscher Martin Lohmann heute die „Reiseanalyse 2021“ (RA) der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) vor und startete mit einer Bilanz zum Reisejahr 2020. Demnach ging der internationale Tourismus 2020 im Verhältnis zu 2019 um dramatische 72 % zurück. Weltweit lag die Zahl der Ankünfte von internationalen Gästen bei ca. 400 Mio. – nach 1,46 Mrd. im Jahr 2019 (Quelle: UNWTO, Schätzung FUR). Damit fiel der internationale Tourismus etwa auf das Niveau von 1989 zurück. Hintergrund dieser Entwicklung ist natürlich die rasche weltweite Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2. Aufgrund der gegen die pandemische Verbreitung des Virus ergriffenen Maßnahmen kam der grenzüberschreitende Urlaubstourismus vorübergehend fast vollständig zum Erliegen. 

Deutschland: Rückgang von 36 % bei Übernachtungen

Auch in Deutschland wurde der private Reiseverkehr zwischen März und Mai 2020 und ab Ende Oktober 2020 nahezu vollkommen unterbunden. In den ersten elf Monaten des Jahres sank daher die Zahl der Gästeübernachtungen im Inland im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum um 36 % [Quelle: Statistisches Bundesamt, 2021]. Für 2020 kann man insgesamt mit ca. 299 Mio. Übernachtungen in Deutschland rechnen – 2019 waren es noch 496 Mio. gewesen. 

Einbruch vor allem bei Kurzreisen

Betrachtet man alleine die Urlaubsreisen der Deutschen, sind diese auf ca. 43 Mio. zurückgegangen (–40 % zum Vorjahr). Die Zahl der Kurzurlaubsreisen (Dauer zwei bis vier Tage) lag bei rund 37 Mio. (–60 % zum Vorjahr). Die jahrelange Stabilität der touristischen Nachfrage auf hohem Niveau fand so ein abruptes Ende. 

Schwer getroffen sind auf der Angebotsseite sämtliche Segmente der Touristikwirtschaft, also z.B. Hotellerie, Gastronomie, Verkehrsunternehmen sowie Reiseveranstalter und -büros. 

Coronavirus und Tourismusnachfrage 

Auf den Tourismus wirkt weniger die eigentliche Erkrankung, sondern vor allem die gegen die Verbreitung des Virus ergriffenen Maßnahmen (u.a. Ausgangssperren, Übernachtungsverbote, Grenzschließungen und Quarantänevorschriften). So gibt es ein verringertes Angebot und eine verringerte Nachfrage, weil Verreisen erschwert oder unerwünscht ist. Betroffen sind hier im Tourismus die Grundvoraussetzungen sowohl auf der Nachfrageseite als auch auf der Angebotsseite. Weiter können die Maßnahmen die finanziellen Voraussetzungen der potenziellen Touristen verändern. Motivational kann die Reiselust aufgrund des Infektionsrisikos sinken, aber auch aufgrund der als unattraktiv wahrgenommenen aktuellen Bedingungen. 

Startbedingungen für 2021 

Die Indikatoren für die touristische Nachfrage im Jahr 2021 zeigen eine unter den bestehenden Voraussetzungen akzeptable Ausgangslage. Bei der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung erwarten viele Deutsche zwar eine Verschlechterung. Im Hinblick auf die eigene persönliche wirtschaftliche Situation sieht der größte Teil aber stabile Verhältnisse: 17 % (Vorjahr 22 %) erwarten, dass sich ihre persönliche wirtschaftliche Situation in einem Jahr verbessert haben wird. 25 % (Vorjahr 22 %) befürchten eine Verschlechterung. Die restlichen 57 % sehen keine Veränderung. Die insgesamt als stabil wahrgenommene individuelle wirtschaftliche Situation ist eine wichtige Vorbedingung für den Urlaubstourismus 2021. 

Urlaubslust gesunken

Mit Urlaubsreisen 2021 haben sich bereits vier von fünf Deutschen (80%) gedanklich beschäftigt. Ob jemand tatsächlich eine Reise antritt, ist dann eine Frage des Könnens (Zeit und Geld) und des Wollens (Urlaubslust). Danach hat die RA direkt gefragt: Die Urlaubslust ist mit 51 % relativ deutlich gesunken (Vorjahr 57 %), die Faktoren Zeit (66 %) und Geld (62 %) zum Reisen werden so günstig wie im Vorjahr eingeschätzt. Insgesamt drücken diese Ergebnisse eine vorsichtig positive Urlaubsstimmung aus, die nachfrageseitig gute Startbedingungen signalisiert. Urlaubsreisen waren und bleiben für die meisten Deutschen ein unverzichtbarer Bestandteil der Lebensqualität. 

Urlaubsreisen 2021 

Die grundsätzlichen Präferenzen der Urlaubsreisenden, also etwa die Vorliebe für Destinationstypen wie Strand- oder Bergziele oder für Reisearten, haben sich nicht geändert. Ob und wie man reisen wird, hängt in nächster Zeit im Wesentlichen von den Möglichkeiten ab, die sich vor dem Hintergrund der Maßnahmen gegen die Coronapandemie ergeben. Voraussichtlich wird sich 2021 deswegen das Gesamtbild wieder erheblich vom Standard des letzten Jahrzehnts unterscheiden. Neue (alte) Freiheiten werden recht bald zu einer Rückkehr zu bisherigen Reisemustern führen, allerdings frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2021 und auch nicht in allen Segmenten. Insgesamt ist auch für 2021 im Vergleich mit 2019 mit einer Dämpfung der touristischen Nachfrage zu rechnen, vor allem wegen der Restriktionen im Zusammenhang mit der Eindämmung des Coronavirus, in einigen Fällen auch aus wirtschaftlichen Gründen oder weil die Reiselust abhandengekommen ist. 

Flug- und Fernreisen nicht gefragt

Die erwarteten Einschränkungen zeigen sich auch in den geäußerten Plänen der Befragten. So werden etwa Flug- und Fernreisen für 2021 seltener ins Auge gefasst als vor der Pandemie. Stattdessen sind auch dieses Jahr (wieder) eher Ziele in der Nähe beliebt, die bevorzugt mit dem Auto und möglichst individuell ohne große Nähe zu anderen Menschen erreichbar sind. Campingurlaub findet unter diesen Bedingungen neue Freunde. Für die multioptionalen Urlauber ist diese Sondersituation kein Problem. Sie werden mit den zur Verfügung stehenden Angeboten glücklich. 

Abwarten dominiert

Unklarheiten, Unsicherheiten und Bedenken führen in der aktuellen Situation zum Abwarten bei der konkreten Reiseplanung und -buchung. Der Informationsbedarf ist hoch. Von den Anbietern erwartet man Flexibilität und Kulanz. Hoch sind auch die Anforderungen an die Sicherheit auf der Reise: z.B. wenig Kontakte und coronaspezifische Hygienemaßnahmen. Gleichzeitig darf der Urlaubsspaß unter diesen Bedingungen aber nicht leiden, ein Balanceakt für manchen Anbieter.