Demonstration in Wiesbaden

Offener Brief des FOH an hessischen Verkehrsministers Dr. Alois Rhiel
Redaktion (allg.)
Am 4. Juni protestierten die privaten Busunternehmer in Hessen gegen die ÖPNV-Politik der CDU-Landesregierung. In der Juni/Juli-Ausgabe der Fachzeitschrift busplaner lesen Sie einen Bericht darüber sowie Stimmen von Unternehmern, die sich an dieser Großdemonstration beteiligten. Der hessische Verkehrsminister Dr. Alois Rhiel bezeichnete diese Protestkundgebung, zu der der Fachverband Omnibusverkehr Hessen (FOH) aufgerufen hatte, als „völlig deplatziert“ bezeichnet. Als Reaktion antwortete Bernd Frölich, Vorsitzender des FOH mit einem Offenen Brief: Sehr geehrter Herr Verkehrsminister Dr. Rhiel, am Samstag, den 4. Juni 2005, folgten Busunternehmer aus ganz Hessen unserem Aufruf zu einem Protestkorso gegen die ruinösen Ausschreibungen, wie sie von der hessischen Landesregierung im Omnibuslinienverkehr durchgesetzt werden. Statt Wettbewerb regiert Unfairness. Dagegen wehren wir uns. In Ihrer Pressemitteilung vom 3. Juni 2005 geben Sie uns recht, indem Sie nämlich „Position beziehen“: „Dr. Rhiel räumte ein, dass die Konkurrenz kommunaler Verkehrsunternehmen ein Problem sei, soweit deren angestammter Stadtverkehr noch langfristig geschützt sei.“ (Anmerkung: Alle Zitate haben wir Ihrem Pressetext entnommen, nachzulesen unter www.hessen.wirtschaft.de). Über 250 teilnehmende Busse – nicht nur aus unserem Verband – wollten mit dem Protestzug auf die Schieflage aufmerksam machen, in die sowohl der Mittelstand als auch die Beschäftigten durch diesen unfairen Wettbewerb geraten sind und weiter geraten werden, wenn sich nicht bald etwas tut. Alle Teilnehmer hoffen, dass die Landesregierung um „5 vor 12“ die dringend erforderlichen Kurskorrekturen vornimmt und endlich für Fairness im Wettbewerb sorgt. Es ist uns daher vollkommen unverständlich, wie Sie, Herr Minister, diesen Protest gegenüber der Presse als „völlig deplatziert“ bezeichnen können. Wir wollen hier nicht weiter erörtern, ob die Ausübung von demokratischen Grundrechten wie der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit überhaupt jemals „deplatziert“ sein kann. Aber wir wollen unser Befremden ausdrücken darüber, wie Sie sich öffentlich an etlichen weiteren Stellen Ihrer Erklärung in bedenklicher Weise gegen unsere Motive und den FOH Fachverband Omnibusverkehr Hessen äußern. Beispielsweise unterstellen Sie dem „kleineren der beiden hessischen (Busunternehmer-)Verbände“ … „im Grunde gegen Wettbewerb (zu sein), um alte und bequeme Besitzstände zu wahren. Da man dies aber öffentlich nicht vertreten könne und deutlich aussprechen wolle, rede man von unfairen Wettbewerbsbedingungen.“ Dies trifft in keiner Weise zu. Tatsache ist vielmehr: Der FOH hat sich mehrfach öffentlich zum Wettbewerb bekannt, auch im Nahverkehr – zuletzt in unserer Pressemitteilung zum Busprotest in Wiesbaden. Wir privaten Busunternehmer müssen tagtäglich um Kunden kämpfen, müssen Aufträge an Land ziehen oder verteidigen. In der Bustouristik zum Beispiel, beim Schulbusverkehr außerhalb des normalen Linienverkehrs oder als Subunternehmer großer Verkehrsgesellschaften. Leistung, Qualität und Preis entscheiden in diesen Geschäftsfeldern. Wir Private können uns daher nicht, wie von Ihnen unterstellt, bequem zurücklehnen. Wenn Sie also die mit uns konform gehende Meinung vertreten, dass sich in unserer sozialen Marktwirtschaft jedes Unternehmen dem Wettbewerb stellen muss, jedoch im Gegenzug für kommunale Unternehmen die „Besitzstände“ in Hessen unangetastet bleiben, kann Ihre Meinung von der sozialen Marktwirtschaft in Hessen wohl ausschließlich für private Verkehrsunternehmen gelten. Deshalb können wir Ihre Aussage in keiner Weise nachvollziehen, dass unsere privaten Verkehrsunternehmen doch nur ihre alten und bequemen Besitzstände wahren wollen. Das ist eine bedenkliche Unterstellung Ihrerseits und an dieser Stelle nun wirklich „deplatziert“. „In unserer sozialen Marktwirtschaft muss sich jedes Unternehmen der Konkurrenz stellen.“ Richtig so, Herr Minister! Wir privaten Busunternehmen tun dies. Auch dort, wo wir im öffentlichen Linienverkehr aktiv sind. Anders als bei öffentlichen Unternehmen gibt es jedoch bei uns Mittelständlern keinen Kämmerer, der mit dem Griff in das Portemonnaie des Steuerbürgers ein Defizit ausgleicht. Es gibt für sie auch keine Stadtwerke-Holding, die über den Strom- und Gasverkauf die ortsansässigen Bürger zur Rettung notleidender Verkehrsgesellschaften heranziehen kann. Doch genau solche kommunalen Unternehmen sind es, die jetzt auf wundersame Weise die mit Abstand niedrigsten Angebote im hessischen ÖPNV-Wettbewerb abgeben können. Auf „Teufel-komm-raus“ wollen sie in die Verkehrsgebiete der übrigen Marktteilnehmer einbrechen, ohne sich daheim dem Wettbewerb zu stellen. Wir Familienunternehmen werden in den Wettbewerb gejagt – und gleichzeitig verlängert das Land Hessen den städtischen Verkehrsunternehmen Schonfrist um Schonfrist. Es ist nicht nur der FOH, der diese Schieflage anprangert, auch wenn Sie in Ihrem Pressetext dies glauben machen und dabei den Eindruck erwecken wollen, als sei der kleinere FOH nicht repräsentativ. Anders als die Presse wissen Sie, sehr geehrter Herr Minister, sehr gut, dass der FOH vor allem Busunternehmen im Bereich des NVV Nordhessischen Verkehrsverbundes organisiert, während der LHO Landesverband Hessischer Omnibusunternehmen vor allem Busunternehmen im Bereich des RMV Rhein-Main-Verkehrsverbundes vertritt. Vom Sitz der Landesregierung in Wiesbaden mag der FOH daher unbedeutend erscheinen. Für Nordhessen bilden wir die Branchenvertretung schlechthin. Im Übrigen: Auch der LHO prangert die Schieflage im Wettbewerb durch Kommunalunternehmen an. Das ist auch in Ihrem Hause längst bekannt. Tatsache ist weiterhin, dass nicht nur Mitglieder des FOH an der Protestveranstaltung in Wiesbaden teilgenommen haben, sondern auch eine beträchtliche Zahl von LHO-Mitgliedern. In dem kilometerlangen Protestzug waren zum Beispiel Busse mit Kennzeichen aus den Kreisen HU, GI, RÜD, MR und … zu erblicken. Mit den DB-Busgesellschaften RKH Regionalverkehr Kurhessen (DB) und VU Verkehrsgesellschaft Untermain haben sich darüber hinaus auch zwei marktbedeutende Unternehmen an unserer Protestaktion beteiligt. Das Verkehrsministerium weiß ebenso wie wir, dass auch ein weiteres in Hessen aktives Konzernunternehmen sich gegen den unfairen Wettbewerb der kommunalen Seite positioniert hat – zum Beispiel in Vergabeprüfungsverfahren in Frankfurt am Main. Auch der bdo Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer, in dem der FOH gemeinsam mit dem LHO organisiert ist, hat sich mit unserem Protest solidarisiert und fordert ebenso wie wir, dass Hessen seine bundesweit einmalige Auslegung des PBefG Personenbeförderungsgesetzes revidiert. Den Sonderweg Hessens in dieser Frage wird im Übrigen auch von dem beim Bundesrat angesiedelten Bund-Länder Fachausschuss der Verkehrsabteilungsleiter in den Länderverkehrsministerien missbilligt. Zuletzt möchten wir darauf verweisen, dass obendrein auch die Gewerkschaft Transnet unseren Protest aktiv unterstützt hat und die Gewerkschaft Ver.di unserer Aktion mit Sympathie begegnet ist. Dies alles belegt eindeutig: Unser Anliegen steht nicht isoliert, sondern betrifft die ganze Branche. Unser Protest steht auf vielen Füßen, nicht nur auf denen des von Ihnen als deutlich kleineren der beiden hessischen Verbänden bezeichneten FOH. Alle in den Wettbewerb – oder keiner „Außer plakativer Kritik lieferten die Demonstranten keine schlüssigen Argumente, die ihre Vorwürfe untermauerten“, erklärten Sie, sehr geehrter Herr Minister. Diese Behauptung traf am Samstag in Wiesbaden nicht zu, und das trifft auch heute nicht zu. Zutreffend ist allerdings, dass wir gleiches Recht für alle verlangen: Wenn die Städte mit Hinweis auf die sog. „Eigenwirtschaftlichkeit“ weiterhin Schutz für ihre Buslinien fordern, so wollen auch wir weiterhin auf „Eigenwirtschaftlichkeit“ pochen können, um uns und unsere Auftraggeber vor Ausschreibungen zu bewahren. Sie wissen, sehr geehrter Herr Minister, dass die kleinen und mittleren Busunternehmer im Linienverkehr in hohem Maß von den Aufträgen der großen Regionalbusgesellschaften abhängen. Verlieren diese infolge von Dumpingangeboten ihre Verkehre, wird postwendend den privaten Subunternehmern gekündigt. Insolvenzen und Betriebsaufgaben im Mittelstand waren bereits die Folge. Viele unserer Mitglieder haben aus diesem Grund ein vitales Interesse daran, dass die Regionalbusgesellschaften im Markt bleiben und nicht durch kommunale Dumpinganbieter „abgeschossen“ werden. Alle in den Wettbewerb – oder keiner: Das wäre Fairness. Leider definiert das Land Hessen Fairness anscheinend grundsätzlich anders, wie wir dem Handelsblatt entnehmen konnten: Statt die Stromnetze für Fremdanbieter sehr weit zu öffnen, wie von der Bundesregierung auf Drängen der EU vorgeschlagen, sorgen Sie im Bundesrat dafür, dass die Netzbetreiber viele angestammte Schutzrechte behalten können. Ist diese Initiative im Interesse der etablierten Energiewirtschaft vielleicht im Zusammenhang mit der von Hessen praktizierten Bevorzugung der kommunalen Stadtwerke im Nahverkehr zu sehen? Lassen Sie uns zum Schluss noch ein Wort zu den Erfahrungen in Skandinavien sagen: Anders als Sie können wir nicht zu dem Schluss gelangen, dass das in Schweden und Dänemark praktizierte und von Hessen kopierte Modell empfehlenswert sei oder zu niedrigeren Kosten für die öffentliche Hand führt. Die aktuelle Studie Busfacts (www.busfacts.de) der Fachhochschule Emden kommt eindeutig zu dem Ergebnis, dass der Busverkehr in marktgesteuerten EU-Mitgliedern, etwa in Großbritannien, mit seinem Wettbewerb um den Fahrgast, die öffentlichen Aufgabenträger billiger kommt, als das Skandinavien-Modell. Deutschland liegt im Mittelfeld. Tatsache ist, dass der Mittelstand im dänischen und schwedischen Busgewerbe durch die Ausschreibungspolitik binnen weniger Jahre um die Hälfte reduziert wurde. Ein Gutachten von PWC Price Waterhouse Coopers bescheinigt den in Schweden verbliebenen Marktteilnehmern – auch den drei Konzernunternehmen Connex, Busslink/Keolis und Swebus/Concordia Bus (Goldman-Sachs-Gruppe), die dort etwa drei Viertel aller Buslinienkilometer bedienen – eine bedrohliche Unterkapitalisierung. Schuld daran sind unauskömmliche und bis heute nachwirkende Verkehrsverträge aus der Marktöffnungsphase, mit denen Marktanteile zusammengerafft wurden. Wer aus der Substanz zehrt, um im Markt zu bleiben, gefährdet Qualität und Sicherheit. Dies ist eine Binsenweisheit, weswegen das Personenbeförderungsgesetz den deutschen Busunternehmen finanzielle Zuverlässigkeit und auskömmlich kalkulierte Tarife ausdrücklich vorschreibt. Wer kann das skandinavische Modell als Vorbild preisen, wenn der einstige Marktführer in Dänemark, die öffentliche Combus, ihre Marktstellung durch nachgewiesenermaßen unauskömmliche Dumpingangebote und den Rückgriff auf die Pensionskasse „erobert“ hat (Untersuchungsbericht des Dänischen Rechnungshofes). Zweimal musste der Staat seinem Verkehrsunternehmen Finanzhilfen in Millionenhöhe gewähren, um Combus vor dem Konkurs zu bewahren. Letzten Endes erfolglos, denn Combus wechselte zu einem symbolischen Preis den Besitzer und gehört heute zum Arriva-Konzern. Jetzt beschäftigt der Fall Combus erneut die EU-Kommission – wegen „unerlaubter Beihilfe“. Was hilft das jedoch den Kollegen in Dänemark, die in der Zwischenzeit aus dem Markt gedrängt wurden? Wer kann das skandinavische Modell als Vorbild preisen, wenn der Marktführer in Schweden, Swebus/Conciordia Bus, akut vom Konkurs bedroht ist? Die Liquiditätsschwierigkeiten des Konzerns (4.000 Busse) sind nach eigener Darstellung im Wesentlichen hervorgerufen durch unauskömmliche Verkehrsverträge, die in der Expansionsphase mit den ÖPNV-Aufgabenträgern geschlossen wurden. Ob man von Qualität im Nahverkehr noch sprechen kann, wenn die von Swebus/Concordia Bus mit ÖPNV versorgten Bürger Tag für Tag mit Bangen an den Tausenden von Haltestellen stehen und sich fragen müssen: Kommt noch einmal ein Bus, oder hat der Gerichtsvollzieher schon den Kuckuck an den Betriebshof geklebt? Wer kann das skandinavische Modell als Vorbild preisen, wenn die Aufgabenträger heute, in der zweiten Ausschreibungsrunde, Preiserhöhungen im Regionalverkehr von bis zu 40 Prozent akzeptieren müssen, die sie nur durch 10-prozentige Fahrpreiserhöhungen, höhere Zuschüsse und Angebotsreduzierungen auffangen können? Wir Mittelständler im hessischen Busverkehr können darin jedenfalls kein Vorbild erkennen. Im Gegenteil: Wir wollen weiterhin so wirtschaften, dass unsere Mitarbeiter und unsere Lieferanten ihr Geld erhalten können und nicht am Ende der Staat oder die Stadt und damit die Bürger für den Größenwahn ihrer Verkehrsunternehmen gerade stehen müssen. Der Mittelstand fordert deswegen vom Land Hessen: - Schluss mit ruinösen Ausschreibebedingungen - Schluss mit der Bevorzugung kommunaler Unternehmen - Schluss mit Lohn- und Sozialdumping - Statt dessen: Echte Fairness im Wettbewerb! Sehr geehrter Herr Minister, bundesweit wird derzeit auf politischer Ebene nicht selten die Meinung vertreten, dass die hessische CDU-Regierung mit ihrer Verkehrspolitik weder die Kompetenz zum Erhalt des Mittelstandes noch zum Erhalt sozialer Standards für Arbeitnehmer besitzt. Wir sind jedoch voller Zuversicht, dass wir diese Position und die von uns angeführten Argumente bei dem von Ihnen für den am 23. Juni 2005 angekündigten Branchengespräch konstruktiv diskutieren können. Und wir vertrauen darauf, dass gerade eine CDU-Landesregierung ein starkes Interesse daran hat, den Mittelstand in Hessen, so wie in der Landesverfassung festgeschrieben, zu fördern, statt unfairem Wettbewerb zu Gunsten der Kommunalwirtschaft das Wort zu reden. Hochachtungsvoll Fachverband Omnibusverkehr Hessen e.V. Bernd Frölich (Vorsitzender) Weitere Infos unter: www.fairer-buswettbewerb.de