Das Ende der Reichweitenangst

In einem praxisnahen RealRun-Test haben wir die Reichweite des Iveco E-Way mit 462-kWh-Batterie ausgelotet. Die Ergebnisse im 24-Stunden-Betrieb waren mehr als bemerkenswert. Auf der IAA Transportation in Hannover wird der Testbus neben einem Iveco Streetway zu sehen und zu erleben sein.

Der Iveco E-Way am Wendepunkt von Testumlauf 1 im Bonner Stadtteil Oberholtdorf. Bild: Bünnagel
Der Iveco E-Way am Wendepunkt von Testumlauf 1 im Bonner Stadtteil Oberholtdorf. Bild: Bünnagel
Claus Bünnagel
TEST

Zum zweiten Mal veranstalteten die Fachzeitschriften Omnibusspiegel, Busmagazin und busplaner in Bonn einen RealRun-Test mit einem E-Bus. Testkandidat nach dem Ebusco 2.0 im vergangenen Jahr: der Iveco E-Way in der 12-m-Ausführung mit den neuen, kapazitätsstärkeren Zen-42-Batterien von Forsee Power. RealRun, das steht für praxisnahe Testbedingungen mit beladenem Fahrzeug und Umläufen auf regulären Linienbusstrecken mit Haltestellenanfahrt und Türöffnung.

Die zwei unterschiedlichen Routen entsprachen den schon während der diversen E-Bus-Vergleichstests der vergangenen Jahre absolvierten Strecken in der Bundesstadt: Die kürzere von beiden führte rechtsrheinisch hinauf zum Bonner Stadtteil Oberholtdorf (18,2 km), die andere linksrheinisch hinauf zum Stadtteil Heiderhof (20,0 km). Auf beiden galt es u.a., bei Steigungswerten von teilweise mehr als 10 % von der Rheinebene hinauf zur Rheinhöhe zu gelangen. Es ging aber nicht beständig bergauf und bergab, sondern beide Strecken wiesen auch längere flache Passagen auf. An den Haltestellen der regulären Bonner Buslinien legten wir jeweils einen kurzen Stopp mit Türöffnung ein.

Vier Fahrer der drei Redaktionen wechselten sich dabei ab. Es wurde auch die Nacht durchgefahren, denn angesichts einer nutzbaren Batteriekapazität an Bord von 430 kWh war schon vorab klar, dass der E-Way bei einer typischen Durchschnittsgeschwindigkeit von 18 bis 18,5 km/h – vergleichbar einem SORT-2-Zyklus – mindestens rund 24 Stunden am Stück unterwegs sein musste, um den Energiegehalt der Akkus weitestgehend zu erschöpfen. Denn das war das Ziel des Tests: die Reichweite einer Batterieladung im Alltagsverkehr auszutesten. Nach dem Aufladen der Energiespeicher starteten wir sozusagen als Gegenprobe einen zweiten Testzyklus.

Bis zu 500 km Reichweite

Und wir lernten im Verlauf der Testfahrt dazu – gerade hinsichtlich des feinfühligen Einsatzes von Fahrpedal und Rekuperationshebel je nach Topografie. Zwar ist die Energierückspeisung beim E-Way aufs Fußpedal aufgeschaltet, aber mittels des Hebels ließen sich höhere Rekuperationsleistungen erzeugen. Da oberhalb von 95 % Ladestand beim französischen Bus nicht rekuperiert wird, um keine Überladung der Batterien zu riskieren, konnte man angesichts unserer erzielten Werte recht gut ablesen, wie der Energieverbrauch des Fahrzeugs sinkt, wenn rückgespeist wird – nämlich um ca. 15 bis 20 %. Das ist ein gutes Argument dafür, sein Fahrpersonal vor dem Einsatz auf E-Fahrzeugen umfassend zu schulen, um eine möglichst hohe Rekuperationsrate zu erzielen und Stromkosten zu sparen.

Wir Tester erzielten am ersten Tag Verbräuche mehrheitlich zwischen 0,80 und 0,90 kWh/km mit ganz wenigen Ausreißern unter die 0,80-kWh-Marke, aber einigen auch im Bereich jenseits der 0,90 kWh/km. Am zweiten Testtag bewegten sich die Verbrauchsergebnisse einer ganzen Reihe von Umläufen zwischen 0,70 und 0,80 kWh/km – bei ähnlichen äußeren Bedingungen wie während des ersten Testzyklus.

Insgesamt betrug die eingesetzte Energie ab Batterie am ersten Testtag im Schnitt 0,91 kWh/km, am zweiten 0,86 kWh/km. Wir legten dabei 438 bzw. 473 km zurück und kamen mit noch 4,4 bzw. 2,8 % Restkapazität in den Akkus zur Ladestation auf dem SWB-Betriebshof in Bonn-Friesdorf zurück. Dieses Ergebnis ist der großen Batteriekapazität an Bord des E-Way von 462 kWh bei einem verhältnismäßig hohen DoD von 93,5 % (DoD = Depth of Discharge, Entladetiefe) ebenso geschuldet wie den angenehmen äußeren Bedingungen.

Denn bei Außentemperaturen zwischen 9 und 24°C mussten wir nur in der Nacht zuheizen – und zwar ausschließlich elektrisch. Der Hybridheizer (fossil/elektrisch) Valeo Thermo H, der die Unterstuhlheizer im Fahrzeug versorgt, war dabei so konfiguriert, dass er bei einer Außentemperatur zwischen 10 und 18°C elektrisch und erst unter 10°C fossil heizte – wobei der Fahrer seine Wohlfühltemperatur im Cockpit unabhängig vom Fahrgastraum regulieren konnte. Die Programmierung des Heizsystems kann jeder Kunde übrigens ganz individuell festlegen.

Das elektrische Zuheizen machte sich aber sofort beim Verbrauch des Fahrzeugs bemerkbar. Lag der Konsum der Nebenverbraucher ohne Heizbedarf bei rund 2 kWh pro Stunde, schnellte er im elektrischen Modus der Thermo H auf enorme 6 bis 7 kWh hinauf, womit der Zusatzheizer sich als echter Stromfresser erweist. Auf 24 Stunden gerechnet würde man bei einem ständigen Betrieb des Aggregats rund 120 kWh an Batterieleistung und damit ca. 140 km Reichweite verlieren. Statt 473 wären wir somit am zweiten Testtag nur rund 343 km weit gekommen. Der fossile Betrieb des Hybridheizers kostet dagegen keine Fahrleistung, ist dafür aber klimaschädigend, solange man keinen Biodiesel einsetzt.

Deshalb macht es mehr als Sinn, dass Iveco momentan den Markt sondiert, um den E-Way künftig mit einer CO2-Wärmepumpe auszustatten. Laut Unternehmensangaben sind derzeit die Anlagen von Eberspächer und Konvekta in der engeren Auswahl. Positiv hinsichtlich der Reichweitenfrage dürfte sich ab Ende 2022 auch der Schritt vom Elfa-II- zum Elfa-III-Antriebssystem auswirken. Denn laut Hersteller Siemens steigert dieser nicht nur Leistung und Drehmoment um rund 15 %, sondern auch die Energierückgewinnung im Rekuperationsmodus auf über 90 % dank integrierter Antriebssteuerung und optimierten Energiemanagementfunktionen. Damit sollte auch ein großes Manko der momentanen E-Way-Ausführung behoben werden können, nämlich die unzureichende 116-kW-Dauer- und 160-kW-Peakleistung vor allem am Berg, den wir bei höheren Steigungswerten mitunter nur mit Geschwindigkeiten von 27 bis 29 km/h hinaufschlichen. Mit Elfa III stehen dann immerhin 160 kW Dauerleistung und 3.000 statt 2.500 Nm an der Achse zur Verfügung.

Geringer Verbrauch, schnelle Ladung

Auch wenn der E-Way mit einer nutzbaren Batteriekapazität von 430 kWh und damit einer der derzeit größten im Stadtbussegment daherkommt: Der Franzose, gebaut bei der Iveco-Traditionsmarke Heuliez am Standort Rorthais, kann nicht nur auf viel Akkupower zurückgreifen, sondern ist auch schon vor der Elfa-III-Umstellung ein sparsames Fahrzeug – sicher auch ein Verdienst des fortschrittlichen Batteriemanagementsystems von Forsee und des aktiven Balancings. Die von uns erzielten Kilometerschnitte von 0,91 bzw. 0,86 kWh inklusive sporadischer elektrischer Zuheizung sind angesichts der hohen Testzuladung von 4,7 t auf 98,9 % des zulässigen Gesamtgewichts in Deutschland für Zweiachser und des anspruchsvollen Testparcours bemerkenswert niedrig.

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Berücksichtigt man, dass ÖPNV-Busse hierzulande im Schnitt mit einer rund 22-prozentigen Auslastung (VDV-Angaben) unterwegs sind, so dürfte der E-Way im Alltag je nach Topografie noch 0,2 bis 0,3 kWh/km weniger Energie konsumieren, womit er auf Werte meist zwischen 0,60 bis 0,70 kWh/km und Reichweiten von mindestens 600 km käme – ohne erhöhten Thermomanagementbedarf. Und selbst im Winter fiele der minimale Einsatzradius kaum unter 350 km – zuzüglich des verbrannten Heizöls oder Diesels im Zuheizer. Damit ließen sich praktisch alle Stadtbuslinien in Deutschland problemlos betreiben, selbst im annähernden 24-Stunden-Betrieb – vor allem dann, wenn der E-Way künftig mit CO2-Wärmepumpe ausgerüstet ist. Denn das Fahrzeug lässt sich bei einer Ladezeit mit maximaler DC-Leistung von 150 kW in nur gut drei Stunden vollständig mit Energie versorgen. Als irritierend erwiesen sich nur die hohen Ladeverluste von 17,56 % zwischen Netz und Busbatterie am ersten Testtag (am zweiten fiel die Messung wegen eines technischen Problems aus).

Trotz des hohen Akkugewichts von ca. 3.435 kg (inklusive Batteriegestell) und des korrosionsbeständigen HVA-Edelstahlrahmens ist der E-Way dabei mit einem Leergewicht von 14,63 t beim umfassend ausgestatteten Testbus kein schweres Fahrzeug. Dass es bei höchster Batteriezuladung trotz der rechnerisch möglichen Passagierzahl von 70 nur maximal 64 Fahrgäste befördern kann, liegt an der momentan verwendeten 7,2-t-Vorderachse. Künftig soll aber eine auf 8,2 t aufgelastete Achse zum Einsatz kommen, was die Fahrgastkapazität dann hin zum theoretischen Maximum verschiebt.

Die hohe Batteriekapazität eines Fahrzeugs wie des E-Way, das ohnehin im gehobenen Stadtbussegment einzuordnen ist, hat natürlich seinen Preis. Bei durchschnittlicher bis Vollausstattung dürfte es zwischen 500.000 und 560.000 Euro (netto) kosten. Legt man für ein vergleichbares Dieselpendant Nettopreise zwischen 250.000 und 300.000 Euro an und berücksichtigt die nutzbare 80-%-Förderung für E-Busse, so bleiben unterm Strich für das Verkehrsunternehmen Mehrkosten von rund 50.000 bis 55.000 Euro pro Fahrzeug hängen.

Unser Fazit

Mit dem Iveco E-Way in Akkuvollausstattung dürfte das Ende der Reichweitenangst bei den Verkehrsunternehmen eingeläutet sein. Zumal in den kommenden Jahren auch E-Modelle anderer Hersteller mit ähnlich nutzbaren Batteriekapazitäten auf den Markt kommen werden. Iveco jedenfalls ist schon heute bestens aufgestellt für eine Elektromobilität ohne Kompromisse. ■

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Artikel Das Ende der Reichweitenangst
Seite 22 bis 26 | Rubrik Titel