Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungs-Gesetz: Elektromobilität in Deutschland nimmt Fahrt auf - kleinere Unternehmen gefordert

Der Cityline Electric gehört mit 15 Sitzplätzen eher zu den Kapazitätsgrößen unter den vollelektrischen Minibussen. Wir sind den Stromer von der Schwäbischen Alb mit litauischen Wurzeln rund um die HJB-Firmenzentrale in Dettingen an der Erms gefahren.

Mit stattlicher Länge von 7,36 m kommt der HJB Cityline Electric daher. Bild: Bünnagel
Mit stattlicher Länge von 7,36 m kommt der HJB Cityline Electric daher. Bild: Bünnagel
Claus Bünnagel
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Die Elektromobilität in Deutschland nimmt Fahrt auf – im ÖPNV nicht zuletzt durch die Clean Vehicles Directive (EU-Richtlinie (EU) 2019/1161), die am 9. Juni 2021 mit dem Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungs-Gesetz (SaubFahrzeugBeschG) in deutsches Recht umgesetzt wurde. Die neuen Vorgaben gelten seit 2. August 2021. Damit sind nun auch kleinere private und kommunale Unternehmen gefordert, den Weg zu einem sauberen bzw. emissionsfreien Fuhrpark einzuschlagen, den die meisten großen städtischen Verkehrsunternehmen bereits seit einigen Jahren gehen.

Mit der steigenden Nachfrage wird auch das fahrzeugseitige Angebot in den kommenden Jahren rasch größer werden. Eines der wenigen Unternehmen, die im Kleinbusbereich bereits ein Serienmodell anbieten kann, ist HJB aus dem baden-württembergischen Dettingen an der Erms. Das hat seinen Grund: Seit Jahren arbeiten Hans-Jürgen Bodechtel und sein Sohn Stefan, der 2015 ins Unternehmen eingestiegen ist, eng mit dem litauischen Marktführer Altas Auto zusammen. Der beliefert bekanntlich auch MAN mit speziellen Ausbauten im Kleinbussegment, hat sich somit auch hierzulande einen Namen gemacht.

Altas hat mit Elinta Motors einen erfahrenen heimischen Partner an der Seite, der für den Elektromotor, die drei Batteriepakete mit zusammen 115 kWh Kapazität und die Fahrzeugsteuerung verantwortlich zeichnet. Zwei vollelektrische Modelle bietet Altas seinen Kunden an; das kleinere der beiden wird nun von HJB in Deutschland vertrieben und trägt den Namen Cityline Electric – Altas selber nennt das Fahrzeug Novus Electric.

Wird der Radstand verlängert?

Auch wenn das Elektrobussegment im Kleinbusbereich ohnehin noch schmal ist, so kann der Cityline Electric eine praktisch unbesetzte Leerstelle im Anbieterportfolio einnehmen. Denn auf ein vergleichbares Fahrzeug wie den 5,5-Tonner mit 7,36 m Länge und immerhin 15 Sitz- und vier Stehplätzen wartete man bislang noch weitestgehend vergeblich. Er basiert auf dem Mercedes Sprinter in der extralangen 514er-Kastenwagen-Ausführung. Altas schneidet dann die Fenster aus, setzt die elektrische Doppelschwenkschiebetür von Masats am Mitteleinstieg ein, hinter dem sich der LE-Bereich mit Rollstuhlplatz befindet, und baut den rückwärtigen Passagierraum aus.

Das Längenmaß und der Radstand von gut 4,3 m bleiben dabei völlig unberührt – die kostengünstige Lösung. Das muss allerdings nicht dauerhaft so bleiben. Denn bei HJB und Altas denkt man über eine Radstandverlängerung nach. Damit würde man nicht nur zusätzliche Fläche zur Erhöhung der Fahrgastkapazität gewinnen. Die aufwendigen Arbeiten an der Fahrzeugstruktur könnten sich auch finanziell für die Kunden auszahlen – gerade in Bayern.

Denn dort werden Bürgerbusse ab 7,50 m Länge als „Midi“ mit 42.000 Euro plus Niederflurausbau (10.000 Euro) gefördert, immerhin ein Plus von 7.000 Euro gegenüber den kürzeren „Minibussen“ bis zu 7,49 m Länge. Sollte das radstandverlängerte Fahrzeug im Endeffekt sogar mindestens 8,50 m lang sein, würde es in Baden-Württemberg die doppelte Bürgerbusförderung von 40.000 Euro erhalten. Allerdings könnte eine solche Maßnahme andere nach sich ziehen – z.B. den Austausch einer oder beider Achsen wegen erhöhter Lasten. Man darf also gespannt sein, ob Altas und HJB hier zukünftig eine Lösung anbieten werden und wenn ja, welche. Ein Busheck soll es allerdings vorerst nicht geben. Es bleibt daher bei den serienmäßigen Flügeltüren im Heck.

Ansonsten bietet das litauisch-deutsche Gemeinschaftsprodukt aber viele individuelle Ausstattungsmöglichkeiten. Das reicht von Zielanzeigen für Front, Seite und Heck über Kasse und Entwertungssystem bis hin zur Wahl zwischen Sege Cityschalensitzen und Überlandsitzen vom Typ Kiel Ligero.

One-Pedal-Driving

Wir waren mit dem Cityline Electric auf einer Runde durch die Schwäbische Alb unterwegs. Von Beginn an gefiel das Fahrverhalten des maximal 90 km/h schnellen Stromers. Die Beschleunigung ist satt für einen Kleinbus, das Federungsverhalten zeigt sich angenehm. An die stark anschlagende Betriebsbremse muss man sich aber erst gewöhnen. Allerdings benötigt man sie ohnehin nur sehr selten, denn die Rekuperation ist relativ zupackend eingestellt. Auf diese Weise wird die meiste Zeit über fahrgastfreundliches One-Pedal-Driving möglich. Als komfortabel für Passagiere und Fahrer erwies sich daneben das niedrige Geräuschniveau an Bord: 56,5 dB(A) maßen wir bei 50 km/h im Cockpit, 58 dB(A) in Höhe der Hinterachse. Solange die Fahrgastklimaanlage nicht angeschaltet ist – und hier kommen wir zum großen Manko der Fahrzeugausstattung.

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Denn die 5,5-kW-Aufdachanlage des israelischen Herstellers Alex Original erwies sich als enorm laut im Betrieb. Bis zu 65 dB(A) im Fahrzeug registrierte unser Schallpegelmessgerät in der Spitze. Gleichzeitig war Schwitzen angesagt, denn die Leistung der Klimaanlage reichte angesichts der herrschenden Außentemperaturen von bis zu 33°C bei Weitem nicht aus. Das war erstaunlich, da wir einige Tage später einen anderen elektrischen Kleinbus fuhren, dessen 5,5-kW-Anlage bei ähnlichen äußeren Bedingungen eine gute Performance zeigte. Entweder handelte es sich also um eine Fehlfunktion des Geräts oder die Leistungsdaten der Anlage stimmen einfach nicht. In dem Fall sollte man eher zur stärkeren 11,5-kW-Alternative vom gleichen Hersteller greifen, die optional angeboten wird.

Einen positiven Eindruck hinterließen dagegen die schnelllaufenden, doppelflügeligen Außenschwenktüren von Masats. Innerhalb von nur zwei bis drei Sekunden geben sie den 190 cm breiten Einstieg frei, der mit einer Höhe von nur 24 cm zudem auch für ältere Passagiere recht leicht zu bewältigen ist. Auch die 25-cm-Stufe zu den Sitzplätzen lässt sich einfach nehmen. Die können die meisten Fahrgäste angesichts einer Stehhöhe von 1,90 m ohne unangenehmes Bücken erreichen.

Ordentliche Reichweite

Bis zu 280 km schafft der Cityline Electric ohne nachzuladen – eine sehr ordentliche maximale Distanz für einen Kleinbus. Realistischer sind im Alltag allerdings 100 bis 200 km, je nach Einsatzprofil, Durchschnittsgeschwindigkeit und äußeren Bedingungen. Die 5 kW-starke elektrische Konvektorenheizung im Fahrgastraum dürfte sich im Winter angesichts des niedrigen COP-Werts sicherlich als energieintensiv erweisen. Geladen werden kann AC und DC, wobei die Infrastruktur für Ersteres kostengünstiger zu haben ist und angesichts einer maximalen Ladedauer von sechs Stunden mit 20 kW (32 A) in der Regel die bevorzugte Lösung für den Betriebshof sein dürfte, solange nicht zwischengeladen werden muss. Ab 2022 soll laut Hans-Jürgen Bodechtel die maximale DC-Ladeleistung von 
70 kW eine Steigerung erfahren.

Das Gesamtpaket Cityline Electric hat mit netto 199.000 Euro des gut ausgestatteten Testbusses vor Förderung natürlich seinen Preis in Relation zu vergleichbaren Dieselfahrzeugen. Mit Extras wie einer (Bio-)Dieselzusatzheizung von Webasto (9 kW), Zielanzeigen rundum oder Corona-Schutz von Heymann kann die Rechnung auch noch höher ausfallen. Dafür erhält man allerdings ein stattliches Gesamtpaket, u.a. mit 24-/60-monatiger Gewährleistung auf das Komplettfahrzeug bzw. die Batterien oder jeweils 150.000 km. Teile lassen sich online bestellen und sind in 24 bis maximal 48 Stunden beim Kunden. Die Fahrdaten können GPS-überwacht werden, den Zustand der Batteriezellen checkt Elinta regelmäßig per Ferndiagnose. Um die Ladeinfrastruktur muss sich der Kunde aber selbst kümmern, sie gehört nicht zum Leistungsumfang von Altas und HJB. 25 Kalenderwochen dauert es von der Bestellung bis zur Auslieferung – eine für E-Busse relativ kurze Frist. ■

Claus Bünnagel

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Seite 36 bis 38 | Rubrik Technik