Totwinkel-Assistenten: EU-Verordnung verpflichtet Lkw- und Busfahrzeuge ab 2022: Ernstes Problem – unkomplizierte Lösung

Rechtsabbiegeunfälle mit Nutzfahrzeugen enden oft tödlich. Deshalb sind ab 2024 Abbiegeassistenten in Bussen vorgeschrieben. Die Wupsi in Leverkusen hat bereits vor zwei Jahren damit begonnen, ihre Fahrzeuge entsprechend auszurüsten.

Ist der Rechtsabbiegebereich frei, leuchtet der Rahmen auf dem Monitorbild grün. Bild: Bünnagel
Ist der Rechtsabbiegebereich frei, leuchtet der Rahmen auf dem Monitorbild grün. Bild: Bünnagel
Claus Bünnagel
ABBIEGEASSISTENTEN

Pro Jahr kommt es nach Angaben der „Unfallforschung der Versicherungen“ (UDV) in Deutschland im Straßenverkehr insgesamt zu 650 Abbiegeunfälle mit 30 bis 40 Toten. Die Versicherungsexperten gehen davon aus, dass 60 % der Abbiegeunfälle vermieden werden könnten, wenn Abbiegeassistenten frühzeitig warnen. Diese Botschaft ist mittlerweile auch in den politischen Sphären angekommen. Nach der EU-Verordnung 2019/2144 zur Typgenehmigung, die am 16. Dezember 2019 verkündet wurde, sind Abbiegeassistenten – dort „Totwinkel-Assistenten“ genannt – ab 6. Juli 2022 für neue Lkw- und Busfahrzeugtypen und ab 7. Juli 2024 für neue Fahrzeuge verpflichtend.

Für Busunternehmer wird das Thema also erst in drei Jahren relevant – möchte man auf den ersten Blick meinen. Doch es lohnt sich ein Blick in die „Förderrichtlinie für die Ausrüstung von Kraftfahrzeugen mit Abbiegeassistenzsystemen“ vom 29. März 2021. Darin findet sich unter 5.2 der Passus, dass „für jeden Zuwendungsberechtigten grundsätzlich maximal zehn Einzelmaßnahmen pro Jahr förderfähig“ sind. Ausnahmen bestehen nur, wenn die bis 15. Oktober eines Jahres an das BMVI zu stellenden Anträge das Fördermittelbudget bis 30. September noch nicht ausgeschöpft haben – was aber unwahrscheinlich ist angesichts der hohen Nachfrage. Gefördert werden „80 % der zuwendungsfähigen Ausgaben, maximal jedoch 1.500 Euro je Einzelmaßnahme“.

Gerade Verkehrsunternehmen, die zehn oder mehr Fahrzeuge im Jahr beschaffen, sollten also spätestens jetzt mit der Ausrüstung der Bestandsflotte beginnen, wenn ihnen das Thema am Herzen liegt. Denn ab 2024 könnten zu akzeptablen Kosten dann nur noch die Neufahrzeuge mit den Abbiegeassistenten bestückt werden.

Systemkosten von 1.500 Euro

Ein Unternehmen, das die Weichen schon frühzeitig gestellt hat, ist die Leverkusener Wupsi. Sie hat bereits 2019 damit begonnen, ihren Fuhrpark mit Abbiegeassistenten zu versehen. Im Laufe des Jahres werden es bereits 35 der 175 Fahrzeuge starken Flotte sein, die mit dem System 
ICA Turn Assist AAS von Axion ausgerüstet sind – 30 Stadt- sowie fünf Reisebusse des Tochterunternehmens Herweg Busbetriebe, alle gefördert. Der Nettosystempreis pro Bus beträgt rund 1.500 Euro. Hinzu kommen noch die Kosten für den Einbau. Für diesen sorgen die Mitarbeiter des Systempartners Kienzle Automotive vor Ort in der Buswerkstatt der Wupsi. Pro Fahrzeug sind zwei Monteure rund sechs bis acht Stunden beschäftigt, also drei bis vier Stunden pro Mann. Sie schaffen somit die Montage von zwei Systemen pro Arbeitstag.

Es gibt drei verschiedene technische Ansätze bei Abbiegeassistenten: kamera-, radar- oder softwarebasierte Geräte. Die Hamburger Hochbahn beispielsweise will ihren mehr als 1.000 Fahrzeuge starken Fuhrpark bis Ende 2022 mit radarbasierten Systemen ausstatten. Ein solches in Form des Continental RightViu hat auch Kienzle Automotive im Angebot. Die Wupsi hat sich jedoch bewusst für einen kamerabasierten Abbiegeassistenten entschieden.„In unseren Augen detektieren radarbasierte Systeme weniger sicher und neigen zu Fehlalarmen“, begründet Geschäftsführer Marc Kretkowski die Entscheidung des Leverkusener Verkehrsunternehmens. „Die Kameralösung dagegen differenziert sicher zwischen statischen und sich bewegenden Objekten.“ Bei Kienzle Automotive ist man zwar technologieoffen, weil man eben verschiedene Lösungen offeriert. Aber auch dort hat man registriert, dass „kamerabasierte Systeme häufiger gewählt werden“, so Key Account Manager Ludger Ribinski.

Mannigfaltige Warnung

Die Montage des ICA Turn Assist AAS ist recht einfach. Neben der am Dach im Bereich zwischen Abschluss von Tür 1 und der Vorderachse anzubringenden Kamera muss das Steuergerät an die Zündung und damit die Stromversorgung angeschlossen werden. Bei Geschwindigkeiten zwischen 0 und 30 km/h, Blinkerbetätigung (rechts) oder eingelegtem Rückwärtsgang wird das System aktiv. Dann wird auf dem Monitor rechts oberhalb des Fahrerarbeitsplatzes das Kamerabild angezeigt mit darüber gelegtem grün und im Gefahrenfall rot gefärbten Rahmen, der den Kollisionsbereich eingrenzt. Zusätzlich warnen eine blinkende LED-Leuchte im Bereich der rechten A-Säule in Blickrichtung des Fahrers zum rechten Außenspiegel, die Sitzvibration und ein Piepton über Piezo-Lautsprecher den Fahrer vor einem möglichen Abbiegeunfall. Der Warnton ist bei offener Tür an der Haltestelle deaktiviert, weil ansonsten die zusteigenden Fahrgäste eine ständige akustische Warnung auslösen würden.

Die Wupsi hat übrigens das Set 2 des ICA Turn Assist AAS gewählt. Es besitzt zusätzlich einen Lenkwinkelsensor, der zwar den Einbau etwas aufwendiger gestaltet, aber auch dann eine Warnung auslöst, wenn der Fahrer beim Rechtsabbiegen einmal vergessen sollte, den Blinker zu setzen.

Vor Inbetriebnahme der ersten Systeme 2019 haben Fahrer und Werkstattmitarbeiter die eingebauten Abbiegeassistenten ausgiebig getestet. Schon bald war klar, dass das Gerät von Axion sehr zuverlässig arbeitet. „Fehlalarme gehen bei uns gegen Null. Eine Einflussgröße sind höchstens gelegentliche Wettereinflüsse wie starker Regen oder Nebel“, berichtet Kretkowski. „Im Dunkeln reflektiert die blinkende LED-Leuchte in der Scheibe, aber das ist eigentlich die einzige störende Begleiterscheinung. Die Fahrer jedenfalls zeigen sich rundweg sehr zufrieden mit der Funktion.“ Diese wurden natürlich umfassend auf das System geschult.

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Kurzer Test

Auch wir ließen uns die Gelegenheit in Leverkusen nicht nehmen und simulierten auf dem Wupsi-Betriebshof und bei einer Runde durch die Stadt Gefahrenmomente wie stehende oder sich bewegende Personen im Rechtsabbiege- oder Haltestellenbereich. Danach konnten wir bestätigen, dass das System zuverlässig ohne Fehlermeldungen gearbeitet hatte. Monitor und LED-Leuchte sind dabei gut einsehbar angebracht, sodass eine Gefahrensituation kaum übersehen oder -hört werden kann.

Das Schlusswort soll allerdings der Wupsi-Chef haben: „Wir hatten bei der Wupsi noch keinen schweren Abbiegeunfall – und das soll auch so bleiben. Mit Nutzung eines Abbiegeassistenten wollen wir einen Unfall wie den eines Lkw im vergangenen Jahr in Leverkusen von vornhinein vermeiden, als ein Kind auf dem Fahrrad tödlich verletzt wurde“, betont Kretkowski. ■

Claus Bünnagel

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Seite 32 bis 33 | Rubrik Technik