In vielen europäischen Ländern sind geschlossene Fahrerkabinen in Stadtbussen bereits seit mitunter 20 Jahren und mehr üblich – vorwiegend zum Vandalismusschutz für den Fahrer. Dies kam den so ausgestatteten Verkehrsunternehmen in der Corona-Zeit natürlich entgegen. Sie mussten keine aufwendigen Sicherheitsmaßnahmen fürs Fahrpersonal umsetzen.
Deutschland ist in dieser Hinsicht Entwicklungsland. Von der Fahrertür abgesehen, gibt es in hiesigen ÖPNV-Bussen in der Regel keinerlei Abtrennungen zum Fahrgastraum. Viele Verkehrsbetriebe wurden daher von der Pandemie eiskalt erwischt. Nach einigen provisorischen Lösungen zum Fahrerschutz wie etwa Plastikabtrennungen begannen die Betreiber schließlich, sich nach dauerhaften Lösungen umzusehen.
Einer der Anbieter, die sehr schnell auf die plötzliche Marktnachfrage reagiert haben, war das Familienunternehmen Heymann aus dem Taunus. Ihm kam dabei entgegen, dass es bereits 2019 Kundenanfragen für geschlossene Kabinen erhalten hatte, somit bereits Ideen entwickelt und diese mit den Prüforganisationen sowie Busverbänden abgestimmt hatte. Deswegen konnten relativ zügig zusammen mit den Fachausschüssen des TÜV Standards festgelegt und mit der Dekra synchronisiert werden. Gleichzeitig stellte Heymann Prototypen her und schickte Maßschnitte mit Aussparungen etwa für die Zahlkasse ans Kraftfahrbundesamt (KBA). Die Einzelabnahmen erfolgten durch den TÜV.
Polycarbonat vs. Glas
Heymann setzt bei seinen Schutzscheiben auf das Material Polycarbonat, einen thermoplastischen Kunststoff. Dieser bietet eine Reihe von Vorteilen gegenüber Einscheibensicherheitsglas (ESG), das andere Hersteller verwenden. Zwar ist es gegenüber üblichem 6-mm-Glas mit 10 mm etwas dicker, wenn man eine ausreichende Eigenstabilität erreichen will. Dennoch beträgt der Gewichtsvorteil von Polycarbonat bei einem Schutzfenster rund 6 kg. Außerdem neigt selbst entspiegeltes Glas zu Reflexionen, die so stark sein können, dass der Fahrer den rechten Außenspiegel nicht mehr sehen kann. Die Verspiegelungen von Polycarbonat fallen dagegen deutlich geringer aus, da die entsprechenden Scheiben mit einer doppelseitigen Hartbeschichtung versehen sind.
Weiterhin kann dieses im Gegensatz zu Echtglas zugeschnitten werden. Heymann stellt aus 2 x 3 m großen Platten von Kasiglas (Geesthacht) bis zu acht Schutzscheiben her. So lassen sich ganz individuelle Zuschnitte bewerkstelligen – für mittlerweile rund 35 Bustypen und für jedwede Einbausituation mit diversen Kassensystemen aus den vergangenen 25 Jahren oder sonstigen Besonderheiten. Als wichtiges Kriterium wird der Zuschnitt so gestaltet, dass das Blickfeld des Fahrers auf den rechten Außenspiegel frei bleibt, was das Problem der Reflexionen zusätzlich mindert.
Auch wirtschaftliche Gründe sprechen für das Polycarbonat. Es ist um mehr als die Hälfte günstiger als ESG. Die Nettokosten für eine Standardkabine etwa in einem Mercedes-Benz Citaro 1 bzw. 2 oder MAN A21 bzw. A23 beträgt 890 Euro bei Selbsteinbau. Wenn Heymann die Montage übernimmt, beträgt der Einbausatz 250 Euro. Zwei Stunden veranschlagt der Ausstattungsspezialist für diese Arbeiten. Deutlich komplizierter wird es z.B. bei einem Iveco Crossway, da nicht nur aus vier Scheibenvarianten gewählt werden muss, sondern wegen der Einbausituation zudem zwei Scheiben und ein Befestigungspfosten an der Fahrzeugdecke zu montieren sind. Die Kosten für den Crossway-Bausatz bei Selbstmontage liegen dadurch mit rund 1.200 Euro deutlich höher. Und auch der Einbau ist aufwendiger, verschlingt vier bis fünf Stunden und Aufwendungen von 400 bis 450 Euro.
Scheibensätze hält Heymann mittlerweile auch für Kleinbusse wie die niederflurige ÖPNV-Variante des Mercedes-Benz Sprinter vor. Für eine schwenkbare, mit zwei Halteklammern befestigte Scheibe, die es dem Fahrer erlaubt, durchs Fahrzeug zur klappbaren Rollstuhlrampe zu gelangen, müssen 595 Euro kalkuliert werden, für den 90-minütigen Einbau bis zu 150 Euro.
Scheibenbausätze für Überlandbusse schlagen mit 1.200 Euro zu Buche, weil hier in der Regel auch eine Tür zur Scheibe ergänzt werden muss. Damit steigen zusätzlich die Kosten für den Einbau etwas an. Beim Reisebus kann nur ein spezielles Polycarbonat verwendet werden, das den Kriterien von Brandschutz und Kopfaufpralltests aufgrund höherer Fahrgeschwindigkeiten entspricht. Diese Anforderungen sind deutlich komplexer als beim Stadtbus, weshalb es hier bislang wenig Erfahrungen gibt.
Tipps zum Einbau
Rund 4.000 Scheiben hat Heymann von Mai bis November 2020 abgesetzt – für Kunden aus dem gesamten DACH-Raum. Der erste Abnehmer waren die nahen Koblenzer Verkehrsbetriebe (koveb). Für das rheinland-pfälzische Herstellerunternehmen waren die Scheibeneinbauten ein Glücksfall in einer Zeit, als z.B. Ausbauten für Reisebusse fast ganz zum Erliegen kamen. Das Glück kam Heymann noch einmal zu Hilfe, als nämlich das KBA die Zulassung für den Zuschnitt von Polycarbonatplatten beschränkte. Danach konnte er nur noch von Firmen – wie eben Heymann – durchgeführt werden, die schon zuvor mit diesen gearbeitet hatten.
Busunternehmen, die Fahrerschutzscheiben in ihren Fahrzeugen verwenden wollen, sollten einige wichtige Details beachten. Die Scheiben sollten das europäische ECE-R-43-Zertifikat tragen, also von TÜV und Dekra abgenommen sein. Sie sollten ein Dokumentensiegel ebenso aufweisen wie die AGB-Nr. 22/27 des KBA. Gewaltanwendung überstehen die Polycarbonatscheiben in der Regel gut – bei Heymann hat man sie testweise sogar mit dem Hammer bearbeitet, ohne sie dabei zerbrechen zu können.
Dagegen vertragen sie das Schraubensicherungsmittel Loctite überhaupt nicht. Sichert man mit dem Metallklebstoff zusätzlich Schrauben an den Scheiben, können diese zerspringen – vermutlich aufgrund des verwendeten chemischen Lösungsmittels von Loctite. Haben Scheiben oder Bus das End-of-Life-Stadium erreicht, können erstere vermutlich aufgrund der Lackbeschichtung nicht recycelt werden und müssen daher voraussichtlich als Sondermüll entsorgt werden.
Wenn auch wie gesehen die Variantenvielfalt der Einbausituationen groß ist, kann diese im speziellen Einzelfall einfach bestimmt werden: Einige Fotos reichen aus, die der Kunde an Heymann sendet, um die vorliegende Variante von Tür und Kassenaufsatz zu bestimmen. Für die Visualisierung schickt der Ausstattungsspezialist aus Nastätten auch gerne Holzschablonen an den Kunden. Bei Heymann warnt man übrigens davor, nicht zertifizierte Lösungen für den Fahrerschutz zu verwenden, denn dies könnte in der HU als gravierender Mangel angesehen werden und damit die Fahrzeugzulassung kosten. ■
Claus Bünnagel
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