Mercedes-Benz Sprinter LE: Doppelflügeliger Fronteinstieg nicht mehr Pflicht für Busunternehmen – HNF-Konzept bietet attraktive Vorteile: Ab in die Marktlücke
Sprinter LE, doppelflügeliger Fronteinstieg, fertig, passt: So könnte der Reflex vieler Busunternehmen gerade auf ausschreibungspflichtige Minibusstadt- und -überlandverkehre mit Niederflureinstieg lauten. Aber stopp! Womöglich lohnt es sich, eine Alternative in die Überlegungen einzubeziehen. Denn die gibt es – und zwar in Form eines Heckniederflurbusses, kurz HNF. Und dieses Fahrzeugkonzept besitzt einige attraktive Vorteile gegenüber der oben beschriebenen Standardausführung. Sie heißen in erster Linie: originaler Antriebsstrang, Preis und Förderung.
Im Detail: Den Niederflureinstieg nach hinten zu verlegen, bietet die charmante Möglichkeit, den ursprünglichen Heckantrieb des Basiskastenwagens unangetastet zu lassen. Das macht ein Umlenkgetriebe überflüssig, das in LE-Umbauten mit einem zwischen den Achsen platzierten Niederflureinstieg eben zwingend notwendig ist. Vor allem diese Maßnahme wirkt sich auf den Preis aus. Der von uns getestete ProBus Sprinter HNF 516 CDi liegt in der Basisversion bei günstigen 90.000 Euro und in der Vollausstattung bei 110.000 Euro – der Testbus in der goldenen Mitte. Zum Vergleich die entsprechenden Werte beim Sprinter LE mit Fronteinstieg aus dem Hause ProBus: Sie beginnen bei 105.000 Euro und reichen bis 130.000 Euro.
Das HNF-Konzept eröffnet zudem die Möglichkeit einer relativ problemlosen Heckverlängerung. Das schafft nicht nur den nötigen Raum für ein ausreichend dimensioniertes Stehperron im Heck, sondern auch attraktive Fördermöglichkeiten, vor allem in dem für ProBus wichtigen Absatzgebiet Bayern. Denn dort fällt der ProBus Sprinter HNF mit seiner Länge von 7,75 m nicht in die Kategorie „Minibusse“ mit bis zu 7,49 m Länge, die lediglich mit maximal 35.000 Euro bezuschusst wird. Stattdessen wird er in die Kategorie „Midibusse“ ab 7,50 m Länge eingeordnet, für die es eine Förderung von 42.000 Euro plus Niederflurausbau von 10.000 Euro gibt, also in der Summe 52.000 Euro. Auch in Baden-Württemberg ist der HNF förderfähig mit einem Maximum von 20.000 Euro – den doppelten Betrag gibt es im Ländle allerdings erst für Midis ab 8,50 m Länge.
Die Extras
Einen konstruktiven Nachteil bringt die Heckverlängerung jedoch mit sich: Die Gefahr gerade bei vollbesetztem Heckperron steigt, dass das Fahrzeug mit dem Heck aufsetzt. ProBus-Geschäftsführer Christoph Schultz empfiehlt daher, es ausschließlich mit luftgefederter Hinterachse zu ordern, die als Extra allerdings mit ca. 2.000 Euro zu Buche schlägt. Als zusätzliche Schutzmaßnahme versieht ProBus die HNF mit Kufen an Front und Heck.
Apropos Extras: Ausgehend vom Basispreis sind neben der zusätzlichen Luftfederung einige andere Sonderausstattungen sinnvoll, die den Preis für das Fahrzeug in der Regel in den niedrigen sechsstelligen Bereich bringen. Mindestens 80 % der ProBus-Kunden ordern ihre Sprinter mit Fahrtzielanzeigen in der Komplettausstattung für rund 3.800 Euro, also an Seite, Front und Heck. Die Splitklimaanlage mit 7,0 kW Leistung fürs Cockpit und 5,5 kW für den Fahrgastbereich kostet ca. 3.000 Euro zusätzlich, die HK4-Anlage des Testbusses mit 11 kW Leistung und getrennt steuerbaren Klimazonen im Fahrzeug etwa 1.500 Euro. Letztere zeigte übrigens am Testtag mit Temperaturen von mehr als 30°C eine gute Performance, sodass sie unserer Ansicht nach in vielen Fällen die ausreichende Lösung darstellt. Die Range der wesentlichen Extras schließt der Telma-Retarder für ca. 4.000 Euro ab, der bereits von Mercedes-Benz ab Werk verbaut wird, sofern er gewünscht ist. Immer werksseitig integriert ist eine zweite Batterie.
Die Umbauten für den HNF erledigt übrigens nicht der Sprinter-Spezialist CMS Auto aus Sulejówek bei Warschau, wo die Herxheimer den Sprinter LE 516 CDi fertig lassen, sondern der langjährige slowenische ProBus-Partner AS Domžale d.o.o., der früher bereits für Ernst Auwärter tätig war. Im Werk in Domžale, einem nördlichen Vorort der Hauptstadt Ljubljana, werden alle Arbeiten vom Ausschneiden der Fenster aus dem ursprünglichen Kastenwagen über die Heckverlängerung bis zum Einsetzen der Türen sowie Fahrtzielanzeigen und dem Innenausbau durchgeführt. Optional lassen sich auch Innenanzeigen, die Vorbereitung und der Einbau der RBL-Systeme und selbst Gurte für Sege-3025-Überlandsitze integrieren oder die Sitzreihen podestlos arrangieren. Das Fahrzeug kann auch auf 5,5 t aufgelastet werden; wir waren allerdings in einem Fünf-Tonner-Testfahrzeug unterwegs.
Das Gleichheitsprinzip
Bei der technischen Ausstattung der HNF-Busse setzen ProBus und Domžale einige wichtige Prinzipien um. So sollen „so viele Originalteile von Daimler wie möglich“ verwendet werden, wie ProBus-Firmenchef Christoph Schultz betont. Außerdem soll die Riege der Zulieferer klein gehalten werden und weitestgehend den übrigen Sprinter-Umbauten von ProBus entsprechen, um möglichst viele Gleichteile verwenden zu können. Diesem „Gleichheitsprinzip“ folgt auch die Maßgabe identischer CanBus-Anschlüsse, um die Nachrüstung etwa mit Videoüberwachungs- oder Fahrgastzählsystemen zu erleichtern.
Gleiches Prinzip beim Thema Türen: Wie Mercedes-Benz verwendet ProBus Außenschwingtüren des italienischen Herstellers ISAF (Industria Serrature Alzacristalli Finestre s.a.s.) aus Mornago in der Lombardei. Die Schnelllauftüren besitzen einen integrierten Motor im Türbaum und kommen ohne Keile und Absenkung aus. Sie öffnen innerhalb von fünf bis sechs Sekunden. Die früher verwendeten Ventura-Türen sind aus Preisgründen mittlerweile keine Option mehr für ProBus.
Geblieben ist das Pfälzer Unternehmen bei der Wachsversiegelung des gesamten Fahrzeugs – ein echtes Unterscheidungsmerkmal zum Wettbewerb. Diese war ursprünglich von Schweizer Kunden gefordert worden, nachdem gerade Mercedes-Benz zu der Zeit mit Korrosionsproblemen zu kämpfen hatte. In der Folge wurde der Korrosionsschutz auch für den deutschen Markt übernommen und hat die frühere Bitumenversiegelung abgelöst. Selbst Schrauben sollen durch die Wachsversiegelung nicht rosten. „Für uns ist eine hohe Qualität immer wichtiger als der finale Endpreis“, betont Christoph Schultz. Nicht zuletzt deshalb kann ProBus Wartungsintervalle von großzügigen 60.000 km für den Sprinter HNF 516 CDi aufrufen.
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Angetrieben wird das Fahrzeug von einem alten Bekannten, dem Mercedes-Benz OM 651 mit 120 kW Leistung und einem großen nutzbaren Drehzahlbereich sowie seinem hohen Drehmoment in Verbindung mit dem ebenfalls hauseigenen Automatikgetriebe 7G-tronic. Auch wenn wir mit weitestgehend leerem Fahrzeug unterwegs waren, so spürt man doch jederzeit, dass man mit einem so motorisierten Sprinter den meisten Anforderungen gewachsen ist – auch bei voller Auslastung. Droht es z.B. an steilen Passagen wie denen des Pfälzer Walds, wo wir unterwegs waren, dann doch etwas zäher zu werden, nutzt man per Kickdown eben die ganze Breite des Drehzahlbands aus.
Dennoch wird das Triebwerk trotz der Nähe zum Fahrer selten akustisch aufdringlich. Im Teillastbetrieb maßen wir sowohl im Cockpitbereich als auch in Höhe der Antriebsachse bei Tempo 50 niedrige Schallpegelwerte von 59,5 dB(A). Der Komfortaspekt ist nicht unerheblich, auch wenn der HNF vorrangig für Schüler- und Linienverkehre eingesetzt wird, wo die Passagiere oft nur wenige Minuten an Bord sind. Am Wochenende könnte das Fahrzeug im Rahmen einer klassischen Doppelverdienerstrategie nämlich durchaus für Ausflugs- und Transferfahrten und sogar kürzere Reisen Verwendung finden. Dafür ist die Überlandbestuhlung aber ebenso Pflicht wie der Rollstuhlplatz für die Linieneinsätze.
Ein Haar in der Suppe haben wir auf unserer Testfahrt aber dennoch gefunden. Das Fahrzeug tendiert zum Wanken vor allem auf unebener Fahrbahn oder bei Kurvenfahrten. Womöglich könnten hier Stabilisatoren Abhilfe schaffen, um der Rollbewegung um die Längsachse entgegenzuwirken.
Das Fazit
Aktuell vertreibt ProBus den HNF im Minibusbereich ausschließlich auf Mercedes-Basis – denkbar wären ja beispielsweise auch Crafter oder TGE. „Hier folgen wir der Nachfrage“, erklärt Christoph Schultz. „Viele Fuhrparks in Deutschland sind eben Mercedes-lastig.“ Er bedauert es, dass viele Ausschreibungen City-Minibusse als Frontniederflurfahrzeuge bevorzugen. Dass es eigentlich auch anders geht, zeigt der Midibereich bei ProBus. Hier liegt der Verkaufsanteil der Heckniederflurbusse in Form des 24-sitzigen R/City HNF Iveco Daily 70C bei rund 70 %. Daher besitzt der Sprinter HNF 516 CDi, den ProBus noch nicht allzu lang im Portfolio hat, also eindeutig noch viel Luft nach oben. Bislang macht er unter den Sprinter-Verkäufen im ÖPNV-Kleinbussegment erst rund 20 % aus. Womöglich setzt er aber gerade erst an für den Sprung in die Marktlücke, denn vor allem in Bayern konnte er bereits einige Erfolge für sich verzeichnen. ■
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