Busfahrer-Unzufriedenheit in Pandemie gestiegen: Mehrfachbelastung gefährdet psychische Gesundheit vieler Fahrer

Die Pandemie hat Führungsdefizite mancher 
Unternehmer schonungslos offengelegt – im Dilemma zwischen Rechtslage, Kundenorientierung und Wirtschaftlichkeit.

 Bild: Gerd Altmann auf Pixabay
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Redaktion (allg.)
PERSONALFÜHRUNG

Die Unzufriedenheit unter Busfahrern ist in der Pandemie massiv gestiegen: Neben der Pünktlichkeit im Linienverkehr und der Gültigkeit von Zeitkarten, was in Stoßzeiten bereits eine hohe Belastung darstellt, müssen in Corona-Zeiten auch Maskenpflicht und Hygieneregeln kontrolliert werden, was wiederum Persönlichkeitsrechte der Passagiere tangiert. Das hat zu vielen Beschwerden über Fahrer geführt und letztlich auch Defizite in deren Führung offengelegt.

„Viele Fahrer fühlen sich von ihren Chefs und Disponenten nicht genügend unterstützt“, sagt Leonhard Fromm. Der 58-jährige Schorndorfer ist Gestalttherapeut und Businesscoach und arbeitet mit Führungskräften und deren Teams. In der Pandemie, so seine Beobachtung, habe sich die Situation verschärft. Der Kommunikationsbedarf mit den Fahrgästen sei seit April 2020 massiv gestiegen, weil etwa permanent neue Regeln vermittelt werden mussten.

Abstand, Maske & Co.

Das betraf etwa den Ein- und Ausstieg, um im Bus Begegnungskontakte zu reduzieren. Die Maskenpflicht war ein großes Thema, insbesondere die angemessene Reaktion, wenn Fahrgäste gegen diese Gebote verstoßen. Und Dauerthemen sind ohnehin die Kontrolle der Fahrausweise und Beschwerden über mangelnde Pünktlichkeit, die nahezu immer der Verkehrslage geschuldet und praktisch nie dem Fahrer anzulasten sind, der den Unmut aber abbekommt.

„Im Kern haben die Busfahrer eine komplexe pädagogische Rolle, sollen und dürfen die Mitfahrenden aber nicht belehren oder gar sanktionieren, weil die zugleich Kunden sind“, fasst Fromm das Dilemma zusammen. Die Folge: Mancher Arbeitgeber lässt seine Mitarbeiter offenbar im Unklaren, statt sie für heikle Situationen zu instruieren und zu sensibilisieren. Das würde auch heißen, kritische Momente mit ihnen durchzuspielen und ihnen dafür klare und praktikable Handlungsvorgaben zu machen.

Gestalttherapeut Fromm hat dreierlei beobachtet: Fahrermangel und Kostendruck sind so hoch, dass für solche Unterweisungen, die letztlich der psychischen Gesundheit der Fahrer dienen, zumindest in Präsenz schlicht die Zeit fehlt. Die Sprachdefizite vieler Fahrer sind zudem so groß, dass solche Trainings nur sehr bedingt greifen würden. Und manchem Busunternehmer oder angestellten Geschäftsführer fehlt selbst das Einfühlungsvermögen für diesen Bedarf und die Bereitschaft, sich selbst in diesem Bereich zu qualifizieren.

Fromm: „Vielfach sind die Unternehmer Macher, die ihren Schwerpunkt auf Technik, Strategie oder Betriebswirtschaft haben.“ Fairerweise müsse man ihnen zugutehalten, dass sie mit der Digitalisierung, dem Wettbewerbsdruck und den Ausschreibungsverfahren sowie der Umrüstung ihrer Flotten auf CO2-neutrale Antriebe, Stichwort „green vehicles“, bereits mehr als ausgelastet seien. Und die Pandemie mit ihren drastischen Fahrgastausfällen wegen Homeoffice, Kurzarbeit und Versammlungsverbot haben die Betriebe ohnehin an den Rand der Zahlungsfähigkeit getrieben.

Motivieren ist wichtig

Andreas Kühner, Inhaber der Gross OHG in Heilbronn: „Wir Unternehmer brauchen selbst den Austausch untereinander, um diese schwierige Zeit durchzustehen.“ Der Chef von 50 Fahrern vermisst selbst den direkten, persönlichen Kontakt im Fahrerraum. Er kommuniziert per WhatsApp mit seinen Fahrern, ruft sie auch mal persönlich an und versendet monatlich einen Rundbrief. Dennoch habe auch er zwei, drei Fahrer, „die den psychischen Druck nicht mehr aushielten“, an Speditionen verloren.

Fromm würdigt solches Engagement und hält es für klug, um die Fahrer zu motivieren und letztlich zu halten. Denn der massive Fahrermangel, der sich durch das baldige Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge und den weiteren Ausbau des ÖPNV, Stichwort Taktverkehr und Klimaschutz, noch verschärfen werde, könne existenzbedrohend werden. Schon jetzt sei die Fluktuation in Betrieben teils hoch, weil für die Mitarbeiter neben einem sicheren und guten Gehalt auch Wertschätzung wichtig sei.

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Damit kommt der Gestalttherapeut zu weiteren Kritikpunkten: Dienstpläne sind demnach kurzfristig, muten Fahrern willkürlich an und zwängen teils sogar dazu, Lenkzeiten zu überschreiten. „Disponenten wird immer wieder fehlendes Fingerspitzengefühl attestiert“, sagt der Führungskräftecoach. Mehr Transparenz würde schon helfen. „Kurzfristige Krankheitsvertretungen und anderes Engagement müssten systematisch erfasst und gewürdigt werden, um Unrechtsempfinden nicht zu nähren“, sagt der Schorndorfer.

Zudem hätten Fahrer, die bis April 2020 im Reiseverkehr eingesetzt waren, es als Demütigung erlebt, seither Linie fahren zu müssen. Mehr Kommunikation hätte auch hier die Atmosphäre verbessert. Dasselbe gelte nun, wo der Reiseverkehr wieder einsetze, im Team zu besprechen oder zu kommunizieren, wer warum nun wieder die Fernreise fährt – und wer nicht.

Loben und schützen

Und schließlich: Die Fahrer müssten spüren, so der Therapeut, dass der Chef hinter ihnen steht. Deshalb sei Loben so wichtig. Oft aber auch, sich bei Kritik seitens der Fahrgäste oder anderer Verkehrsteilnehmer, schützend vor den eigenen Fahrer zu stellen. „Wenn Sie dem Kritiker sagen, dass Ihr Mitarbeiter hohen Belastungen ausgesetzt ist und Sie persönlich ihn sehr schätzen, wird er es Ihnen danken,“ so Fromm. Dessen Beschämung sei dagegen kontraproduktiv. Das heiße nicht, dass man intern nicht mit dem Fahrer redet – aber eher fragend, wie es zu einer Situation kommen konnte, denn verurteilend. Denn jede Situation hat in der Regel zwei Seiten.

Der Therapeut gibt ein Beispiel: So fühlt sich mancher Pendler bereits schikaniert, wenn er täglich seine Monats- oder Jahreskarte auf das Display des Fahrers legen soll. Schließlich kenne ihn der Fahrer doch. Was er dabei aber übersieht: Andere Fahrgäste beobachten eine vermeintliche Bevorzugung, was zu Irritationen und kraftzehrenden Diskussionen führen kann, die dem Fahrer Energie rauben. Regeln Fahrer, zumal auf derselben Linie, diese Kontrolle unterschiedlich, kann bereits dies zu persönlichen Angriffen auf korrekte Fahrer führen.

Fromm: „Das Beispiel zeigt, wie viel Handlungs- und Klärungsbedarf Verantwortliche in den Verkehrsbetrieben haben.“ Dazu gehöre, wie sich Fahrer während (Ruhe-)Pausen zu verhalten haben und wie sie in dieser Zeit ihren Bus ausweisen, um nach außen einheitlich aufzutreten. Oder wie sie angemessen auf Verkehrsrowdies reagieren, die ihnen die Vorfahrt nehmen oder ihre Haltestelle zuparken. ■

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Seite 10 bis 11 | Rubrik Markt & Meinung