Verbände fordern Reformen für Straßenbau

Experten mahnen 20 Prozent mehr Staus und Wertverlust in Milliardenhöhe.
Anja Kiewitt

Deutschland schiebt einen Investitionsstau bei der Straßenverkehrsinfrastruktur von rund 40 Milliarden Euro vor sich her. Das teilt der BVMW - Bundesverband mittelständische Wirtschaft, Unternehmerverband Deutschlands e.V., Berlin, mit. Dass der Ausbau der Fernstraßen dem Verkehrswachstum seit langem deutlich hinterherhinkt, zeige sich unter anderem in der aktuellen ADAC-Staubilanz 2015, so der Münchener ADAC e.V. Die Zahl der Staus kletterte demnach gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent, alle Staus zusammen summierten sich auf eine Gesamtlänge von 1,1 Millionen Kilometer. „Kein Wunder, dass Deutschland im europäischen Stau-Ranking einen unrühmlichen dritten Platz einnimmt", urteilt BVMW-Präsident Mario Ohoven.

Wertverlust der deutschen Verkehrsinfrastruktur

Die Folge der seit Jahren unterfinanzierten Instandhaltung: Die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland hat allein seit 2005 um mehr als 51 Milliarden Euro an Wert verloren. Das hat die Infra Dialog Deutschland GmbH mit ihrer Initiative „Damit Deutschland vorne bleibt“ errechnet – eine Allianz von Verbänden, Institutionen und Unternehmen, darunter der Kölner Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV). Die negative Entwicklung setze sich kontinuierlich fort: 12.500.000 Euro täglich, 520.000 Euro jede Stunde, 8.680 Euro pro Minute und gut 140 Euro pro Sekunde gehen dem Volksvermögen laut Infra Dialog verloren.

Sorgenkind ÖPNV

Spürbar sei das besonders im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in den Städten. „Der Sanierungsstau im kommunalen Nahverkehr wird immer größer und beträgt inzwischen mehr als vier Milliarden Euro“, erläutert Oliver Wolff, Geschäftsführer von Infra Dialog. „Die Haushaltslage vieler Kommunen ist angespannt, es gibt immer weniger Spielraum für notwendige Investitionen. Dabei müssten die Kapazitäten angesichts von mehr als zehn Milliarden Fahrgästen jedes Jahr, Tendenz steigend, dringend ausgebaut werden“, betont er.

Infra Dialog: Weiterhin zweckgebundene Entflechtungsmittel

Doch seit Jahren fahre Deutschland auf Verschleiß. Noch völlig ungeklärt sei zudem die Zukunft der für die kommunale Infrastruktur so wichtigen Entflechtungsmittel. Bislang zahlte der Bund den Ländern jährlich 1,33 Milliarden Euro für deren Erhalt und Ausbau. Rund 740 Millionen Euro, also etwa die Hälfte, flossen allein in den ÖPNV, die übrigen Mittel in der Regel in Straßenbauprojekte. Die Finanzierung der Mittel nach dem Entflechtungsgesetz laufe jedoch 2019 aus und eine Nachfolgeregelung sei bislang noch nicht in Sicht. Während die Bundesländer globale Zuwendungen des Bundes anstreben, möchte die Bundesregierung an den zweckgebundenen Zahlungen bei den Entflechtungsmitteln festhalten. Wolff: „Ich appelliere dringend an die Länder, sich mit dem Bund auf die bewährte zweckgebundene Fortführung der kommunalen Investitionsförderung zu verständigen.“

ADAC: Zentrale Bundesfernstraßengesellschaft

Um auch den Modernisierungsstau im Fernstraßennetz aufzulösen, fordert der ADAC die Gründung einer zentralen, bundeseigenen Bundesfernstraßengesellschaft sowie eine bessere Ausstattung der Straßenbauverwaltungen der Länder. Das seien wesentliche Ergebnisse der Studie „Reformoptionen für die Verwaltungsorganisation sowie die Bereitstellung und Finanzierung der Bundesfernstraßen", die das Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V. (IKEM) an der Universität Greifswald im Auftrag des ADAC erstellt hat.

Strittig: Privatisierung von Fernstraßen

„Eine Bundesfernstraßengesellschaft muss die Investitionen so steuern, dass sie nicht an Landesgrenzen enden, sondern sich am tatsächlichen Modernisierungsbedarf bemessen. Die Reform der Auftragsverwaltung bei Bundesstraßen und Autobahnen braucht ein schlüssiges Gesamtkonzept, das von Bund und Ländern gleichermaßen getragen wird. Gegebenenfalls muss im Verlauf der Debatte auch eine Grundgesetzänderung erwogen werden“, kommentiert ADAC-Vizepräsident für Verkehr Ulrich Klaus Becker die Studie. Unabdingbar ist aus Sicht des ADAC, dass die Bereitstellung der Bundesfernstraßen weiterhin als Bestandteil der Daseinsvorsorge eine öffentliche Aufgabe bleibt. Eine Privatisierung der Fernstraßen würde unter dem Strich zu höheren Kosten für die Nutzer und Steuerzahler führen, teilt der Verband mit.

BVMW: Keine Mehrbelastung für Unternehmen

„Eine neue Struktur und neue Finanzierungsformen dürfen jedoch nicht zu einer Mehrbelastung der Unternehmen führen. Bereits heute nimmt der Staat durch Steuern und Abgaben im Straßenverkehr mehr als 50 Milliarden Euro pro Jahr ein. Zunächst sollten diese Mittel für den Erhalt und Ausbau des Straßennetzes genutzt werden, anstatt dem Mittelstand neue finanzielle Lasten aufzubürden", ergänzt BVMW-Chef Ohoven.